Filmfest München: Sturm auf die Berlinale!?
Das Filmfest München steht vor neuen Herausforderungen: Erwartet der Freistaat eine „Mission impossible“? Dafür gibt er drei Millionen Euro mehr. Aber was heißt das?
Seit sieben Jahren leitet Diana Iljine das Filmfest München, das immer ein charmantes, cineastisches Festival war mit internationalen Überraschungsgästen, die durch gute Beziehungen der Festivalleiter nach München kamen: der junge Leonardo DiCaprio, Quentin Tarantino, Charlotte Rampling, Judi Dench oder John Malkovich.
Diana Iljine hat die Ausstrahlung des Filmfestes gestärkt, den Roten Teppich aufgewertet, mehr Partystimmung gemacht und TV-Serien ins Programm integriert. Und vor zwei Jahren ist es ihr gelungen, ihre Hauptgesellschafter, Stadt und Staat, zu einer Etaterhöhung zu bewegen – von zwei auf 3,5 Millionen Euro, wozu noch Gelder der erkämpften Sponsoren kommen, so dass jetzt vier Millionen Euro im Spiel sind.
Markus Söder verspricht 3 Millionen Euro im Alleingang
DREI MILLIONEN EURO MEHR VOM FREISTAAT: EIN PROBLEM?
Jetzt hat Ministerpräsident Markus Söder im Alleingang drei Millionen Euro zusätzlich versprochen, ab kommenden Jahr. Das setzt auch noch den Mitgesellschafter, die Stadt München unter Druck, den städtischen Anteil ebenfalls zu erhöhen, so dass noch mehr Geld an das Filmfest fließen könnte. Das klingt wunderbar. Ist es auch, hat aber Haken – es könnte ein Danaer-Geschenk werden, ein Bumerang.
Hätte Markus Söder nur 500 000 Euro mehr versprochen, wäre alles paletti: einfach mehr Luft, um das bisherige Filmfest-München-Konzept zu konsolidieren und organisieren: also weiterhin auf der ganzen Welt besondere Filme einsammeln und auf den großen Festivals in Cannes und Venedig Regisseure und Produzenten für das „größte deutsche Sommerfestival“ in München gewinnen – als schöne Premieren-Startrampe für Deutschland.
Die drei Millionen Euro zusätzlich sind aber mit einem Auftrag verbunden. „Berlin ist schön, München ist schöner“, sagte Söder bei der Eröffnung des Filmfests. Übersetzt bedeutet dies: Angriff auf die Berlinale. Und genau damit fangen die Probleme an.
MÜNCHEN KANN KEIN "A-FESTIVAL" WERDEN!
A-Filmfestivals sind nach internationalen Richtlinien des Produzentenverbandes (FIAPF) Festivals, die einen größeren internationalen Wettbewerb ausrichten, in dem Filme in Weltpremieren gezeigt werden. Cannes im Mai mit einem Etat von circa 30 Millionen Euro ist das wichtigste Festival mit dem größten Filmmarkt der Welt. Venedig hält im September am Lido das älteste (seit 1932) und wegen seiner Offenheit auch beliebteste Festival ab – mit einem Etat von über 20 Millionen Euro und der Vergabe des Goldenen Löwen.
In Deutschland ist die Berlinale im Februar das einzige A-Festival mit 25 Millionen Euro Etat beim Kampf um den Goldenen Bären. Und weil es pro Land laut Status des Internationalen Produzentenverbandes nur ein A-Festival geben kann, würde auch die Verleihung einer „Goldenen Breze“ kein A-Festival aus München machen.
The Guardian, El Pais und New York Times kommen nach München
WIE BRINGT MAN DIE WELTPRESSE AN DIE ISAR?
Ob man wirklich internationale Filmproduzenten gewinnen kann, in München mit großen Filmen an einem Weltpremieren-Wettbewerb teilzunehmen? Was lockt? Wichtig ist in so einem Fall die Anwesenheit der Weltpresse (wie in Cannes mit unfassbaren 4 500 akkreditierten Journalisten) oder in Venedig mit immerhin 2500 internationalen Journalisten. Aber werden „The Guardian“, „El Pais“, die „New York Times“, japanische und chinesische Medienvertreter und alle Branchenblätter nach München kommen?
Welche international wichtigen Filme werden produziert, die nicht eher nach Cannes, Venedig schielen werden als in München Premiere zu haben? Selbst anerkannte A-Festivals wie in San Sebastian oder Karlsbad haben da in der harten Konkurrenz zu Berlin, Cannes und Venedig schon inhaltliche Probleme. Bisher hatte das Filmfest München diese Probleme gar nicht, weil man nicht auf Welt-, sondern nur auf Deutschlandpremieren besteht.
WAS KÖNNTE MÜNCHEN UNVERWECHSELBAR MACHEN?
In der Marketingsprache geht es um den so genannte USP – den Unique Selling Point – also das Unverwechsebare. Und was wäre das beim Filmfest München außer Sommer und Sonne, gute Stimmung? Der deutsche Film. Denn hier schiebt die Berlinale als internationales Festival die Deutschen in die Nebenreihe Perspektive Deutsches Kino ab.
Das Filmfest München feiert diesen deutschen Schwerpunkt ja bereits, und zwar egal ob Kino, Stream oder Fernsehen. Nur gibt es überhaupt genügend hochklassige, international interessante, deutsche Produktionen? Fast alle größeren deutschen Festivals spielen ja auch deutsche Produktionen.
Virtual Reality, Games und Ähnliches als neuer Schwerpunkt?
WIRD DAS FILMFEST MÜNCHEN ZUM „MEDIEN"-FESTIAVAL?
Was zum Zauberwort „Medien“-Festival führt, das als Zukunftsorientierung für das Filmfest München ja bereits im Raum steht. „Medien“-Festival aber ist erst einmal eine Worthülse. Diana Iljine hat früh erkannt, dass Serien sich zu einer entscheidenden Filmform entwickelt haben.
Die Stimmen, die die Festivalleiterin auch wegen der Schwerpunktreihe „Neues Deutsches Fernsehen“ ironisch als „Fernsehtante“ bezeichnet haben, sind bereits verstummt. Aber das alles macht ein Festival nicht zu einer starken „Medien“-Plattform: Sind also Computerspiele (es gibt eine starke Games-Förderung in Bayern) oder der Schritt in Virtual-Reality-Formate gemeint? Oder doch vor allem internationale TV- und Streaming-Produktionen, für die es aber bereits die große Mipcom in Cannes gibt. Und eignet sich das Filmfest München dafür als Plattform, das ja immer auch noch mit dem Hauptsponsor-Tele5-Slogan wirbt: Wir lieben Kino?
WO IST ALSOI NOCH LUFT NACH OBEN?
Vielleicht bei den Zuschauerzahlen: Unter Diana Iljine hat sich die Zahl der Besucher sanft erhöht auf jetzt rund 80 000 Zuschauer. München boomt, die Region wächst, so dass die Meinung kursiert: 120 000 Besucher müssten drin sein. Das aber wäre eine gigantische Steigerung in einem Münchner Sommer zwischen Klassik-Open-Airs, Opernfestspielen, Biergärten und Tollwood.
Natürlich fehlt dem Filmfest in Zukunft auch ein Festivalzentrum, nicht nur, weil der Gasteig ab 2020 saniert wird, sondern auch, weil das Zentrum eines Filmfestes eben Kinoleinwände braucht – und ein Premierenkino, das mit einem Roten Teppich auch etwas Glamour verbreiten kann. Aber dafür langen selbst drei Millionen nicht.
Hofer Filmtage, das Dok.Fest... Was wird aus ihnen?
MÜNCHEN! ABER WAS IST MIT DEN ANDEREN FESTIVALS?
Wenn die Bayerischen Staatsregierung dem Filmfest München jetzt jährlich drei Millionen Euro mehr zur Verfügung stellt, stellt sich die Frage: Was hat man in der Landesregierung mit den 20 kleinen Filmfestivals vor und vor allem mit dem Provinz-Traditionsfestival in Hof nach dem Tod des Festivalleiters und -Gründers?
Auch gibt es ein weiteres Münchner Ehrgeiz-Spielfeld: Das Dok.Fest hätte mit mehr Geld (Bayern gibt hier nur 230 000 Euro) die realistische Chance, Leipzig dauerhaft als besucherstärkstes Dokumentarfilmfestival Deutschlands abzulösen.
Was also ist die Idee hinter Söders Millonengeschenk, das selbst die Filmfestchefin überrumpelte? Oder hat der Ministerpräsident darüber in Wahlkampfzeiten noch nicht genug nachgedacht?