Filmfest München: Jetzt wieder die große Leinwand
München - Auf neun Open-Air-Locations und in sieben Festival-Kinos laufen ab 1. Juli 70 Langfilme aus 29 Ländern, engagierte und unterhaltsame Werke, mal radikal, mal mit Leichtigkeit inszeniert. Fast zu jedem Film gibt es ein "Filmmakers Live!", manchmal digital wie bei CineMerit Preisträgerin Robin Wright. Festivalchefin Diana Iljine zeigt sich optimistisch, dass nicht nur das Münchner Publikum die Lust auf Kino neu entdeckt.
AZ: Frau Iljine, mit welchen Gefühlen gehen Sie an das diesjährige Filmfest?
DIANA ILJINE: Mit Vorfreude und Stolz. Es war ein Ritt auf Messers Schneide. Zwei Tage vor der Endprogrammierung kam die Nachricht, dass die Kinos öffnen. Wirklich in letzter Minute. Die Spielstätten sind über die ganze Stadt verteilt und richten sich an die unterschiedlichsten Publikumsschichten. Wir haben u.a. das "Sugar Mountain" und den "Bahnwärter Thiel" für ein junges Szenepublikum, das Institut Français mit seinem Garten für kultivierte Kinogänger, die Fünf Höfe für ein bourgeoises Publikum und Leute, die dieses tolle Ambiente mitten im Stadtzentrum genießen wollen, dann noch die Münchner Open Air Institutionen: das "Kino am Olympiasee" mit neuer LED-Leinwand und "Kino, Mond & Sterne" im Westpark.
Kreatives Netzwerk über München
Über die Stadt ist eine Art "kreatives Netzwerk" gespannt. Was heißt das?
Kultur war im vergangenen Jahr quasi nicht sichtbar. Deshalb wollen wir gemeinsam mit vielen weiteren Münchner Kulturveranstaltern und der kreativen Szene Film im öffentlichen Raum stattfinden lassen. Neben den schon genannten Spielstätten kooperieren wir deshalb auch mit dem Amerikahaus und dem NS-Dokumentationszentrum, mit der Hochschule für Fernsehen und Film und der Pasinger Fabrik, wo wir den legendären Produzenten Franz Seitz feiern mit Gästen wie Volker Schlöndorff oder Uschi Glas. Wir haben echt ein Netz über die ganze Stadt gespannt.
Bekommen Sie genug Publikum? In den Open Air Kinos sind inzwischen 500 Leute erlaubt.
Ich gehe fest davon aus, dass die Bude voll wird. Die Leute haben wahnsinnig Lust rauszugehen und auch wieder Filme gemeinsam auf der großen Leinwand zu schauen. Unsere Erfahrungen mit dem Pop Up Kino im vergangenen Jahr waren positiv: Jeder Platz war besetzt.
Und was ist bei Dauerregen?
Der Wettergott ist uns meistens gut gesonnen, ein Platzregen zwischendurch macht nichts. Solange es keinen Sturm gibt, finden Open-Air-Vorführungen statt. Ich hoffe auf unseren guten Draht zu Petrus.
Eröffnungsfilm Filmfest: "Kaiserschmarrndrama"
Eröffnungsfilm ist der neue Eberhofer-Krimi "Kaiserschmarrndrama", ein Knüller für das lokale Publikum. Internationale Besucher könnten irritiert sein.
Wir sind in erster Linie ein Publikumsfestival, am 1. Juli öffnen die Kinos bundesweit - ein Neustart für die Kultur. Der erste Eberhofer-Film "Dampfnudelblues" feierte 2013 bei uns Premiere. Der war eigentlich fürs Fernsehen gedreht und dann auf dem Filmfest so erfolgreich, dass er ins Kino kam und 600.000 Besucher erreichte. Klar, der Humor ist nicht jedermanns Sache, aber damit senden wir ein starkes Zeichen - nicht nur an die riesige Fangemeinde, die jetzt schon der Vorführung und dem Auftritt des ganzen Teams entgegen fiebert - und erstmals für das Opening Karten kaufen kann. Internationale Gäste halten sich in Pandemie-Zeiten leider zurück. Neben anderen rechnen wir aber fest mit renommierten Regisseuren wie Bruce LaBruce zu "Saint-Narcisse", Dominik Moll zu "Die Verschwundene" und Anders Thomas Jensen zu "Helden der Wahrscheinlichkeit".
Es gibt sechs Abschlussfilme, einer davon ist Marcus H. Rosenmüllers Animationsfilm "Rotzbub". Schließt sich da der Kreis mit Schwerpunkt auf das regionale Filmgeschehen?
Eine Hommage an den österreichischen Karikaturisten Manfred Deix und sein Werk, ein sensationeller und total verrückter Film, der auf politische Korrektheit pfeift. Sie haben Recht, die regionale Filmindustrie zu stärken, ist in diesem Jahr natürlich besonders sinnvoll.

Was macht der rote Teppich?
Die klassische Situation, wo sich Leute auf dem roten Teppich tummeln, wird es nicht geben. Das passt nicht ins Pandemiejahr. Aber wir präsentieren dem Publikum unsere Gäste schon - in diesem Jahr eben etwas anders als gewöhnlich. Mit mehr Abstand, aber nicht mit weniger Elan und Begeisterung.
Vier Frauen bilden das "cineastische Quartett". Ist das mehr als nur dem Zeitgeist geschuldet?
Vier Topfrauen als Ehrengäste! Senta Berger, die Grande Dame des Films, hatten wir schon lange auf dem Schirm, Franka Potente mit ihrem ersten Regiefilm "Home" ist ein Glücksfall, die US-Schauspielerin und Regisseurin Robin Wright, deren Ehrung mit dem CineMerit Award digital stattfindet, ist mit "Abseits des Lebens" frisch vom Sundance-Filmfestival vertreten, die Polin Malgorzata Szumowska, der die Hommage gewidmet ist, mit "Der Masseur". 2019 hatten wir vier Männer: Ralph Fiennes, Antonio Banderas, Louis Garrel und Bong Joon-ho, den Palmengewinner für "Parasite" aus Cannes. Das gleichen wir in diesem Jahr gerne aus.
Gerade die Cannes-Filme waren ein Pfund, mit dem München wuchern konnte. Die fallen aus, weil Cannes verschoben ist und sich sogar mit München teilweise überlappt. Welche Filme bieten Ersatz?
Natürlich galten die Cannes-Filme als Höhepunkte. Schade, aber es ist, wie es ist. Unser Programm muss sich wahrlich nicht verstecken, kann mit Meisterwerken wie François Ozons "Sommer '85", Kiyoshi Kurosawas "Wife of a Spy" aus Japan oder Henrik Ruben Genz' "Erna at War" punkten. Alles internationale Topproduktionen - und obendrein unsere fantastischen deutschen. Wir hatten die Qual der Wahl.
Filmfest München: weniger Filme als zuvor
Vielleicht ist es gut, mal mit weniger Filmen auszukommen. Venedig zeigt auch nur 70 bis 80 Filme.
Vor meiner Zeit liefen über 220 Filme, ich habe das Programm auf 180 reduziert. Wir werden sicherlich in Zukunft wieder bei mehr Filmen landen. Das ist immer eine philosophische Frage. Ich finde es schwierig, sich durch den Dschungel toller Filme zu wühlen. Wir werden einen Mittelweg zwischen 70 und 180 finden.
Wie steht es mit der Vision und den Versprechungen von Ministerpräsident Markus Söder von 2018, der auf ein Aufschließen zur Berlinale spekulierte und jährlich drei Millionen Euro zusätzlich versprach?
Die finanzielle Zusage war an einen zentralen Ort in der Stadt gekoppelt, da konnten sich die Gesellschafter nicht einigen. 2019 hatten wir zunächst drei Millionen Euro mehr und haben damit auch Projekte angestoßen und realisiert. Wir konnten den Investitionsstau überwinden und die neue Webseite in die Gänge bringen. Was an Geldern übrig war, haben wir dem Freistaat zurückgezahlt. Die mit diesen Millionen verbundene Vision war nicht umzusetzen, deshalb verfügen wir künftig über dieses Budget nicht mehr.
Wie sieht es jetzt mit den Finanzen aus?
Wir kommen mit dem Geld vom Freistaat und der Landeshauptstadt München auf 3,5 Millionen Euro. Das ist weniger als 2018. Bei der Einsparung von sieben Prozent in allen Haushaltsbereichen sind wir leider in guter Gesellschaft. Die Coronapandemie hat den Kultursektor um 17 Jahre zurückgeworfen, so die Bilanz eines vom Bundestag erstellten Gutachtens. Der Umsatz in der Kultur ist allein im letzten Jahr um 22,4 Milliarden zurückgegangen. Ein Wahnsinn. Aber das hindert uns nicht, mit nur 3,5 Millionen ein Riesenfilmfest auf die Beine zu stellen.
Geistert Markus Söders Idee von Gamern, YouTubern und Virtual Reality noch durch zukünftige Pläne?
Nein, kurzfristig muss sich die gesamte Kultur erst einmal erholen. Wir müssen die Leute von der Couch und den Streamern weglocken und wieder vor die große Leinwand holen, damit sie ihr Bedürfnis auf Events und Kultur neu entdecken.
In dieses Konzept passt die bundesweite Vorführung von Helena Hufnagls "Generation Beziehungsunfähig" parallel zur Premiere in München.
Ich sehe das als ein weiteres Signal für die deutsche Kinolandschaft, kurz nach der Wiedereröffnung bieten wir gemeinsam mit dem FFF Bayern und dem potenten Verleih Warner Bros ein Event unter dem Label "Filmfest München in deinem Kino". Die Premierenatmosphäre in der Open-Air-Institution "Kino, Mond & Sterne" wird durch die digitale Anwesenheit der Stars wie Frederick Lau und Luise Heyer in alle teilnehmenden Kinos übertragen. Vor Ort in ganz Deutschland kümmern sich die Kinos um einen festlichen Rahmen. Nicht nur eine Werbung für das Kino und diesen superlustigen und romantischen Kracher über die Generation Tinder, sondern auch für das Filmfest München.
Das Filmfest München ist eigentlich berühmt-berüchtigt für seine Partys und Empfänge. Gibt es Partys?
Wir müssen verantwortungsbewusst handeln. Die Preisstifter sind alle an Bord geblieben, aber unter pandemischen Bedingungen geht leider nichts mit Partys, auch wenn die Inzidenzen runtergehen. Das wird nächstes Jahr aber voll nachgeholt. Versprochen.