Filmfest München: Filmfestreihe "Neues deutsches Kino" startet am Wochenende
Die Filmfest-Reihe "Neues deutsches Kino" präsentiert einen bunten Querschnitt durch das aktuelle Filmschaffen.
München - Diese titelgebende Frage kann wohl jeder mit Ja beantworten: "Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?" Wer hätte nicht gerne mal ein Double, das einspringt, wenn alles zu viel wird? Luisa findet eine Doppelgängerin, die den Gatten umsorgt, während sie mit dem Lover sexuelles Neuland ausprobiert und den Ausbruch aus der langweiligen Ehe plant. Das klappt erstmal ganz gut, bis die Doppelgängerin nicht nur beim ahnungslosen Mann mit neuen Seiten punkten kann, sondern auch beim Liebhaber – mit ihm hat sie Sex auf dem Klo.
Was Lola Randl da an surrealer Persönlichkeitsspaltung entwirft, mag übertrieben wirken, trägt aber ein Körnchen Wahrheit in sich. Der Film kritisiert eine Gesellschaft, die vom Individuum immer mehr fordert. Benno Führmann als Romeo-Typ, Lina Beckmann als entfesselte Hausfrau und Charly Hübner als gemütlicher Gemahl bilden ein taffes Trio (Heute, 19.30 Uhr ARRI, So, 25.6. 22.30 Uhr und Mi, 28.6., 17.30 Uhr, HFF Audimax).
Der Film ist ein Highlight der Reihe "Neues Deutsches Kino". Der wunderbare Charly Hübner spielt auch in "Magical Mystery Oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" (So, 25.6. 19.30 Uhr Sendlinger Tor, Mo, 26.6. 22.30 Uhr Münchner Freiheit 1, Do, 29.6. 15 Uhr, HFF Audimax). "War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles?", sagt der von Hübner gespielte Karl Schmidt über die Magical Mytery Tour. "Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?"
Während seine früheren Kumpels weiter durch die Techno-Szene tobten, musste er nach einem Nervenzusammenbruch erst einmal in Therapie, ausgerechnet am Tag der Maueröffnung. Fünf Jahre später hat er die Nase voll von psychologischem Quark und geht mit den alten Freunden auf Deutschlandtour. Eine durchgeknallte Truppe, in der Detlev Buck als Chef eines Techno-Labels die Verrückten durch heiße Clubs, billige Döner-Buden und dubiose Bars schleust.
Arne Feldhusens Verfilmung des vierten Sven-Regener-Romans ist ein cineastischer Paukenschlag, mit vibrierendem Sound und einem Lebensgefühl, das nicht mit Rente und Ruhe liebäugelt. Komisch, anrührend und mit tollen Sprüchen. "Manchmal bewegt sich einer nicht, aber deshalb ist er noch lang nicht tot" philosophiert Schmidt am Anfang und beweist seine Lebendigkeit.
Mit 20 Weltpremieren, auch um die Gleichwertigkeit zwischen Fernseh- und Filmsektion zu unterstreichen, bietet die Reihe "Neues Deutsches Kino" einen rasanten Trip durchs aktuelle deutsche Filmschaffen. Und das ist bunt, fröhlich und traurig, privat und politisch, auch wenn viele Themen um zwischenmenschliche Beziehungen kreisen, wie in Sonja Maria Kröners Regiedebüt "Sommerhäuser" (Di, 27.6. 19.30 Uhr und Do, 29.6. 22.30 ARRI, Sa, 1.7. 20 Uhr HFF 1), wo in einem Gemeinschaftsgarten in drückender Sommerhitze Erwachsene vom Stress durchatmen und um die Zukunft des Grundstücks streiten, während die Kinder im geheimnisvollen Dickicht hinter dem Zaun auf Abenteuerjagd gehen.
Für Christoph Gröner, Kurator der Reihe, haben alle der oft auch unabhängig produzierten Filme "ein großes Publikum verdient". Zum Beispiel "Making Judith!" von Klaus Lemke, den Gröner zum "König des Experiments" erklärt (Mi, 28.6. 22 Uhr ARRI, Fr, 30.6. 17.30 Uhr und Sa, 1.7. 15 Uhr Münchner Freiheit 1). Er bürstet mal wieder ordentlich gegen den Strich. Rosa von Praunheim und Markus Tiarks stellen das "Überleben in Neukölln" (So, 25.6. 11 Uhr ARRI, Sa, 1.7. 20 Uhr Münchner Freiheit 1) in Frage: Der Multi-Kulti-Kiez wandelt sich in ein In-Viertel.
Stefan alias Juwelia liebt das Leben. Aber wie "Überleben in Neukölln"? Foto: FFM
Julia Langhof verhandelt in "Lomo – The Language of Many Others" (Di, 27.6., 17 Uhr und Sa, 1.7. 22 Uhr ARRI, Fr, 30.6. 17.30 Uhr HFF 1) das zwischenmenschliche Verhältnis neu: Da liefert sich ein auf Social Media fixierter Junge einer Cloud aus und trifft aus Frustration und Verzweiflung Entscheidungen, die seinen Alltag auf den Kopf stellen.
Gröner schielt nicht auf kommerziellen Erfolg, da können die Zuschauerzahlen wie beim Jahrgang 2016 schon mal weit auseinanderklaffen ("Gleißendes Glück": 65 000, "Die Habenichtse": 2300). Auf Erfolg an der Kinokasse hofft in diesem Jahr dennoch Nico Sommer mit dem umwerfenden Peter Trabner als "Lucky Loser" (So, 25.6., 17 Uhr ARRI, Di, 27.6., 10 Uhr HFF 1, Fr, 30.6., 20 Uhr Münchner Freiheit 1).
Mike (Peter Trabner, Mitte) ist ein "Lucky Loser" – oder doch nicht? Foto: FFM
"Ein Sommer in der Bredouille" lautet der Untertitel dieser Tragikomödie, und in der Tinte sitzt die Hauptfigur Mike bis zum Hals. Ohne Wohnung, mit prekärem Job und Liebe für die Ex-Frau, die inzwischen mit einem Karrieristen verbandelt ist, versucht der Chaot mit seiner Teenie-Tochter im klapprigen Wohnwagen auf einem Campingplatz ein paar Wochen zu verbringen. Ein Unterfangen, das grandios scheitert, aber so schön erzählt wird, dass man dem Unglücksraben die Däumchen hält.
Und das deutsche Kino kann auch Genre. Bestes Beispiel: Khaled Kaissars "Luna" (Do, 29.6. 20 Uhr und Sa, 1.7. 17 Uhr ARRI, Fr, 30.6. 15 Uhr Münchner Freiheit 1). Wie die 17-jährige Luna (Lisa Vicari) den Tod ihrer Familie rächen will und sich dabei mit BND und russischen Agenten anlegt, das glänzt durch Hochspannung, Gefühl und Geheimnis und muss sich international nicht verstecken.
Alle Programminfos zur Reihe "Neues deutsches Kino" unter www.filmfest-muenchen.de