Filmfest München: "Das Messer im Kopf"
München - Er begann bei der Bavaria und Show-Größe Michael Pfleghar, galt bald als Profi für TV-Shows, drehte parallel dazu Sozialreportagen. Dann wechselte er zum Kino, zählte zu den Regisseuren des "Neuen DeutschenFilms", die München in den 1970er und 1980er Jahren zur Filmhauptstadt machten. Das Filmfest München ehrt Reinhard Hauff nun mit einer Hommage.
AZ: Herr Hauff, heute läuft in der Gala zu Ihren Ehren "Messer im Kopf" von 1978. Ist es Ihr "Lieblingsfilm"?
REINHARD HAUFF: Wahrscheinlich der gelungenste Film. Es war damals ein Glücksfall, das Buch von Peter Schneider in die Hände zu bekommen. Und der Bruno Ganz war sofort dabei. Alles hat sich gefügt. Das war ja keine Alltags- oder Beziehungsgeschichte, wenn ein Mensch sein Leben wieder neu erfinden und in den Griff kriegen muss. Diese existenziellen Fragen haben mich interessiert. Glück hatten wir auch mit dem Drehort. Das Klinikum Großhadern funktionierte noch nicht als Ganzes, sodass wir eine ganze Etage hatten und einen Requisiteur, der alles heranschaffte, was die Ärzte aus den anderen Abteilungen zum Staunen brachte.
Durch "Stammheim" und "Messer im Kopf", in denen es um das Gewaltpotenzial des Staates geht, fanden Sie sich in der Kategorie "politischer Filmemacher" wieder.
Da hineinzukommen, ist keine Anstrengung. Das waren Themen, die mir irgendwie zugeflogen sind. Bei "Stammheim" rief mich Stefan Aust, der spätere Chefredakteur des "Spiegel" an und erzählte mir von den Prozessprotokollen, die in einer Garage lagen. Das war ein tolles Thema, es hat uns nur keiner geglaubt, dass das alles wirklich so war.
Sahen Sie es damals als Verpflichtung, für politische Veränderungen einzutreten?
Ich erhielt die unglaubliche Chance, diese Originalprotokolle einsehen zu dürfen. Die Reduktion auf den Prozess machte ja diese ganze RAF-Geschichte deutlicht, ohne dass ich den ganzen Baader-Meinhof-Komplex schildern musste. Das hätte ich nicht geschafft.
Die Berlinale zeichnet 1986 "Stammheim" mit dem "Goldenen Bären" aus. Jury-Mitglied Gina Lollobrigida distanzierte sich, nannte den Film "gefährlich und zwielichtig". Hat Sie das alles irritiert, verletzt?
Verletzt nicht. Ich wusste den Hintergrund, Sie wollte den "Goldenen Bären" für "Die Messe ist aus" von ihrem Landsmann Gianni Moretti und außerdem das Thema nicht an sich rankommen lassen. Italien hatte selbst mit den Roten Brigaden zu kämpfen.
Ich bin auf die Bühne gegangen und habe ihr zugeflüstert "Take it easy", mit dem Rücken zum Publikum, damit es niemand hörte.
Während der Vorführung flogen aber Stinkbomben, es gab sogar Morddrohungen.
Die RAF wollte nicht, dass der Film gezeigt wurde. Die Leute waren aggressiv und die Morddrohungen, vor allem gegen Stefan Aust, waren nicht harmlos, sondern heftig. Er ist dann auch ins Ausland gereist.
München war in den 70ern und 80ern Hauptstadt des Films. Fassbinder, Wenders, Schlöndorff… Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Es war eine gute Zeit. Ich bin da reingerutscht, weil mich Schlöndorff oder Achternbusch als Schauspieler wollten. Da habe ich sie alle kennengelernt. In der Szene-Kneipe "Kleiner Bungalow" in der Türkenstraße stand Wim Wenders immer am Flipper und wenn man Glück hatte, sagte er mal Guten Tag. Aber meistens stilisierte er seine Loneliness und schwieg. 1967 nahm die Hochschule für Fernsehen und Film ihren Lehrbetrieb auf, damals noch in der Kaulbachstraße. Da habe ich unterrichtet. Zu meinen ersten Studenten zählten Bernd Eichinger und Herman Weigel.
Spüren Sie beim Rückblick Wehmut?
Ich stehe voll zu meinen Filmen und zu meinem Weg. Und Wehmut empfinde ich nicht. Bis Ende der 70er Jahre war München spannend. In diese Zeit fiel auch Gründung der Bioskop Film, eine Produktionsfirma, mit der wir interessante Filme realisiert haben. Und nicht zuletzt Schwabing mit seinen verrückten Kneipen. Ich war damals mit der Fassbinderclique liiert, man machte die Nächte durch und im legendären "Stop In" traf man morgens um 4 Uhr noch Leute, die man kannte. Ich muss oft daran denken, wie viel hier in Schwabing begonnen hat und erinnere mich noch sehr genau an die Demonstration in der Barerstraße, wo die Bildzeitung produziert wurde. Da ging es los mit den Demonstrationen. Nachts bei der Auslieferung standen wir da. Ich gehörte nicht zur RAF, dachte aber, wenn das in meiner Gegend passiert, will ich auch dabei sein. Man war Teil einer Aufbruchsstimmung und konnte gar nicht anders.
Sie übernahmen 1993 für 12 Jahre die Direktion der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin (dffb). Soll sich wirklich noch ein Student dem Film verschreiben?
Ich habe immer gesagt, es gibt keine Garantie, vielleicht endest du als Taxifahrer. Du musst den Mut haben, dich wirklich für etwas Eigenes einzusetzen und wissen, du kannst mit deiner Fähigkeit begeistern – egal ob über Worte, Themen, Rhythmus oder Politik. Irgendetwas Spezifisches musst du wissen, können und liefern. Die Hauptaufgabe besteht doch darin, den Zuschauer zu faszinieren. Jeder sollte sich fragen, ob er diesen Weg einschlagen will. Wer Filme machen will, muss verrückt sein.
"Messer im Kopf": Gala: Heute, 17.30 Uhr, Filmmuseum und wieder am Samstag 1.7. 15.30 Uhr, HFF Kino2