Erfahrungen in der Fremde
Cannes - In Cannes wird die Zukunft des Kinos diskutiert: Vor dem Festival gab es Streit mit Netflix darüber, ob Filme, die in erster Linie für Internet-Streaming gedacht sind, überhaupt an einem Kinofestival teilnehmen dürfen.
Und jetzt tauchte schon ganz am Anfang der nächste Film einer Internetfirma auf: Amazon hat den Wettbewerbsfilm von Todd Heynes produziert. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass „Wonderstruck“ mit Julianne Moore und Michelle Williams wirklich als Kinofilm gedacht ist.
Und so gibt es hier in Cannes, am Puls der Kinokunst, die vielleicht salomonische Einsicht: Dass Filme, die auch auf dem Anti-Kinoformat eines Laptops oder gar Handys gezeigt werden, nicht unbedingt der Tod des Kinos sein müssen – zumindest solange die Internetfirmen auch das Kino als Auswertungsmarkt mitdenken.
Kino wird also zunehmend nur noch eine Möglichkeit sein, mit Filmen gut Kasse zu machen, aber wahrscheinlich bleibt es noch lange die Königsdisziplin! Auch, weil man eben vor dem Laptop keinen Roten Teppich ausrollen kann. Und Cannes gilt da als Krönungsort für das Kino als Kunstform und als Unterhaltung.
Todd Haynes erzählt "Wonderstruck" in zwei Strängen: Die im Stummfilmstil und mit alten Linsen gedrehte und im Jahr 1927 spielende Episode wirkt körnig, die 1977 spielende Geschichte besticht mit poppigen Farben. In ihr macht sich ein Junge nach dem Tod seiner Mutter (Williams) von Minnesota auf, seinen unbekannten Vater zu suchen. In New York aber trifft er letztlich nur die Großmutter (Moore), die die Tochter eines Stummfilmstars war. Das alles ist etwas umständlich, fast wirr zusammengeführt und feiert vor allem das coole New York und das Abenteuer seiner Museen.
Denn wie in einem Spielberg-Film, wird hier das Jungen-Leben als interessanteste, unmittelbare und unverbildete Lebensphase gezeigt, in einer Mischung aus „Stand by Me“ und „Nachts im Museum“. Einhellige Meinung: Todd Haynes („Carol“) hat schon einmal mehr begeistert.
In die Nebenreihe mit oft gewagteren Filmen – Un certain Regard – hat es hier in Cannes ein deutscher Beitrag geschafft. „Western“ von Valeska Griesebach, der eigentlich ein „Eastern“ ist, weil man Richtung Osten noch ursprünglichere Verhältnisse vorfindet, wie in Bulgarien.
Die 49-Jährige Regisseurin erzählt mit zahlreichen Western-Elementen und einem präzisen Blick auf seine Protagonisten von deutschen Bauarbeitern, die für einen Auftrag in die Nähe eines bulgarischen Dorfes kommen.
"Western" zeigt den Zusammenprall zweier Kulturen
Grisebach beobachtet, wie sich die unterschiedlichen Kulturen argwöhnlisch beäugen und besonders der Vorabeiter der Deutschen durch sein machohaftes und sexistisches Verhalten für Probleme sorgt. Ein anderer Arbeiter, Meinhard, hingegen versucht, auf die Dorfbewohner zuzugehen. Er findet tatsächlich bald Anerkennung und Freunde – landet aber auch bald zwischen den Fronten.
"Western" wird so zu einem spannenden und atmosphärisch dichten Werk über eine kleine Gemeinschaft, die vom Rest der Welt isoliert scheint. Das Werk, für das Grisebach auch das Drehbuch schrieb, wurde maßgeblich von Maren Ades ("Toni Erdmann") Produktionsfirma finanziert. Für Valeska Grisebach ("Sehnsucht") ist es der erste Film in Cannes. Auf den deutschen Beitrag im Wettbewerb um die Goldene Palme, Fatih Akins "Aus dem Nichts", muss man noch eine Woche warten.
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