"Eldorado": Schicksale in der Bewältigung der Migration in der AZ-Filmkritik

Nach dem großen Erfolg von "More than Honey" sucht Markus Imhoof in "Eldorado" Schicksale, Menschlichkeit und Absurditäten in der Bewältigung der Migration.
Margret Köhler |
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Goldfolie gegen Unterkühlung: Ein Flüchtlingsmädchen im Boot nach der Rettungsaktion Mare Nostrum.
Majestic/zero one Film Goldfolie gegen Unterkühlung: Ein Flüchtlingsmädchen im Boot nach der Rettungsaktion Mare Nostrum.

Sie suchen das Eldorado in Europa, Schutz vor Krieg und ein besseres Leben. Aber das Ziel entpuppt sich nach gefährlicher Odyssee in wackeligen Booten übers Meer als Enttäuschung. Der Schweizer Markus Imhoof verknüpft die Reise der heutigen Flüchtlinge mit seinen persönlichen Erinnerungen an Giovanna, einem Flüchtlingsmädchen aus Italien, das nach dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit in seiner Familie lebte und seinen – damals noch kindlichen – Blick auf die Welt schärfte.

Mit den Augen des Kindes von damals folgt er den aktuellen Ereignissen. Nur zu Beginn: bekannte Bilder von überfüllten Booten, erschöpften Menschen und ihre Rettung durch ein Marineschiff, Registrierung und Nummerierung. Da ist kein Platz für Individualität, nur Masse. Aber das alles ist doch weit mehr als 90 Minuten "Tagesschau".

"Eldorado": weit mehr als 90 Minuten "Tagesschau" 

Auch in Italien dürfen die sie bis zum Abschluss des Asylverfahrens nicht arbeiten, das Lager zerrt an den Nerven und "Wirtschaftsflüchtlinge" haben so gut wie keine Chancen. Die Mafia übernimmt das "Geschäft": Schwarzarbeit für ein paar Euro in der Landwirtschaft (davon geht ein Teil an die Familie in Afrika), ein primitives Zeltlager, Prostitution, organisierte Kriminalität, Rechtlose ohne Papiere. Und wer es irgendwie in die Schweiz schafft, kann zurückgeschickt werden oder landet auch schon mal nach dem Prinzip Abschreckung in einem Bunker ohne Fenster mit Stahlbetontür.

Regisseur Imhoof legt den Finger auf die Wunde, zeigt einen absurden Teufelskreis, wenn die von Flüchtlingen gepflückten Tomaten in teuren Dosen in ihren Herkunftsländern landen. Ein Irrwitz folgt dem nächsten: So erhält ein freiwilliger Rückkehrer 3.000 Euro, damit er sich in der Heimat mit zwei Kühen eine Existenz aufbauen kann. Gleichzeitig exportiert die EU subventioniertes Milchpulver nach Afrika, das ihm genau diese Existenzgrundlage wieder entzieht.

Nur Akhet von der Elfenbeinküste hatte Glück: Eine Familie nahm ihn auf, inzwischen hat er Abitur und studiert an der Pariser Sorbonne. Die Schicksale in "Eldorado" schockieren wie auch die Vorurteile. Da wo es die wenigsten Fremden gibt, herrscht die größte Angst vor dem Fremden. Die eindringlichen Bilder belegen die Abschottung unserer europäischen Gesellschaft. Und wer Hilfe benötigt, bleibt letztlich auf der Strecke.


Kino: Arena, Münchner Freiheit B&R: Markus Imhoof (CH, D, 95 Min.)

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