Ein Hoch auf Europas Kinokultur
Bayern ist ein Kulturstaat, steht in der Verfassung. Oft zitiert, viel erreicht? Die Franzosen jedenfalls machen ernst. Deren Kulturministerin war über Pfingsten da und hat den Amerikanern eine Abfuhr erteilt: Film ist Kultur, kein Wirtschaftsprodukt! Was wie eine Plattitüde klingt, ist harte Politik.
Die USA beherrschen drei Viertel der globalen Filmindustrie. Das langt ihnen aber nicht. Als Gralshüterin des Freien-Markt-Fetischs wollen sie Filmsubventionen verbieten lassen. Nur: In Europa entsteht kein einziger bedeutender Film ohne geförderte Sonderbedingungen. Cannes ist das Festival, das das klar zeigt.
Die bisherigen Favoriten sind in Frankreich produziert worden: „Jung und schön“ von François Ozon über eine 17-jährige Bürgerstochter, die sich prostituiert und „Die Vergangenheit“ von Asghar Farhadi. Der Iraner und Berlinale-Bärengewinner („Nader und Simin“) hat jetzt im französischen Exil die Geschichte weiter erzählt – mit Bérénice Bejo (der Oscar-Schönen aus „The Artist“). Eine Frau verlangt nach vier Jahren Trennung die Scheidung. Der Mann reist aus dem Iran an, gerät in die neue Patchworkfamilie, in die der Jetzige der Noch-Frau einen Jungen mitgebracht hat. Die Teenietochter ist überfordert, die Kleinere läuft ängstlich mit, und am Ende ist der größtmögliche psychische Fragmentierungszustand erreicht, aus Schuld und Gefühlen. Wer glaubt, das sei psychologisch-intellektuelles Nischen-Kunstkino, täuscht sich. „Die Vergangenheit“ schüttelt durch Wahrhaftigkeit durch. Und wer hat ironischerweise diesen kleinen, bewegenden Film für die internationale Vermarktung gekauft? Das Hollywood-Großstudio Sony Pictures.
Dass französisches Kino an der Côte d’Azur gefeiert wird, hat nicht nur patriotische Gründe. Frankreich hat eine gepflegt starke Kinokultur, Franzosen gehen dreimal so häufig ins Kino wie wir, es gibt eine Spielfilmquote für französische Filme im TV, die Stars hier geben sich stilvoll und werden hofiert.
In all dem französischen Glamour und Jubel konnte sich bisher nur ein US-Film Gehör verschaffen: „Inside Llewyn Davis“. Die Coen-Brüder erzählen darin von der US-Folkszene, bevor diese elektrisch, protestgeladen und glatter die Charts stürmte, der Moment, kurz bevor der kleine singende Wuschelkopf die Bühne betrat: Bob Dylan. Ihm wird eine fiktive Figur vorangestellt, Llewyn Davis, der nicht korrumpierbare Straßenkater mit der Gitarre „on the Road“, der „echte“ Folkmusik verkörpern will – und es durch seine pure Sturheit genau nicht schafft. Damit hat der Film einen Antihelden, der vom Regen in die Traufe kommt, das Gegenteil des amerikanischen Traums verkörpert, der eben nur kommerzialisierbar zu verwirklichen ist.
Womit sich der Kreis zum Eröffnungsfilm „The Great Gatsby“ schließt, der mit traumhaften Marketing-Möglichkeiten in den USA gut gestartet ist, aber in Europa bisher schwächelt. Dazu passt, dass heute der amerikanische Independent-Regisseur Steven Soderbergh seinen Abschiedsfilm „Behind the Candelabra“ zeigt. Soderberghs These: In den USA kann man nur noch Riesen-Produktionen auf den Weg bringen. Für mittlere Projekte findet man kaum Geldgeber mehr. Vielleicht sollte er einfach nach Europa kommen und hier auch mit den Franzosen gegen Handelsabkommen kämpfen, die Film nur als Handelsware betrachten.
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