Ein Crash kommt selten allein

Premiere beim Filmfest und im Residenztheater: Katrin Röver spielt in „Dinky Sinky“ und in „Lehman Brothers“
Michael Stadler |
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Kinderlieb: Katrin Röver
FFM Kinderlieb: Katrin Röver

Premiere beim Filmfest und im Residenztheater: Katrin Röver spielt in „Dinky Sinky“ und in „Lehman Brothers“

Mensch, dieser Expansionsdrang. Irgendwas muss wachsen, damit man glücklich ist: entweder das Kapital, was aber zu Finanzblasen führen kann, oder, als hübsche Blase im ganz Privaten, der Bauch.
Frida, 36 Jahre alt, verfolgt ihre Lust auf Familie mit einiger Vehemenz: Der Geschlechtsverkehr wird mit Blick auf den Eisprung geplant, ihren Freund Tobias will sie noch fester durch einen Heiratsantrag binden. Aber der hat keine Lust mehr, „Zuchthengst“ zu sein, und trennt sich von ihr. Das Drama einer Frau beginnt, die mit viel Druck nach einem neuen Samengeber Ausschau hält, auch in den digitalen Partnerbörsen, damit sich die Sehnsucht nach einem Baby noch erfüllen mag.
„Dinky Sinky“ heißt der erste Spielfilm von HFF-Absolventin Mareille Klein, der heute auf dem Filmfest Premiere hat. „Dinky“ steht für „Double Income No Kids Yet“, also doppeltes Einkommen, noch keine Kinder; „Sinky“ entsprechend für die Single-Variante, die nun Frida durchleben muss.

Das Wunderbare an Kleins Film ist, wie genau beobachtet die Situationen sind – mit viel Sinn für die Komik, die sich ergibt, wenn eine Frau mit gebrochenem Herzen einem Freundeskreis begegnet, wo der Kinderwunsch größtenteils schon in Erfüllung gegangen ist, während man selbst noch auf der ersten Stufe der Partnersuche ist: im Kopf die biologische Uhr, die verdammt laut tickt.
Dass man dieses Ticken spürt und, auch als Mann, an dieser Odyssee Anteil nimmt, das hat viel mit Katrin Röver zu tun.
Kaum zu glauben, dass Röver, Ensemblemitglied des Residenztheaters, hier erstmals eine Hauptrolle vor der Kamera spielt. So präzise ist ihr Spiel, in den Blicken, Gesten und Sätzen, so gar nicht theatralisch, sondern dezent gesetzt, wie es der Film nun mal braucht. „Ich glaube auch, dass ich eher von diesem Kleinen herkomme“, meint Katrin Röver. „Ich habe mir neulich ein Video aus meinem ersten Studienjahr an der Ernst Busch in Berlin angeguckt, das ist knapp zehn Jahre her, und wenn die Kamera näher rankam, war mein Spiel okay.“

Das Große für die hinteren Theaterreihen hat Katrin Röver, geboren 1981 in Halle an der Saale, sich beim Sommertheater in Halle und an der Ernst Busch rangeschafft, ihr erstes Engagement hatte sie am Schauspielhaus Düsseldorf. Seit fünf Jahren spielt sie nun am Residenztheater. Ab der nächsten Spielzeit wird sie dort als Gast ihre Rollen weiterspielen und ansonsten als freie Schauspielerin arbeiten. Dabei hat sie sich im Gedächtnis festgesetzt, als Darstellerin, die ihre Figuren ohne Prätention spielt, lebensnah und echt. Sei es, dass sie derzeit im „Goldenen Vlies“ die mitreißend verzweifelte Amme der Medea spielt oder im „Kongress der Autodidakten“ zum schrulligen Expertenteam gehört, als Spezialistin für das Anthropozän, die hervorragend jodeln kann.
Am Konservatorium Georg-Friedrich-Händel in Halle hat Katrin Röver Gesang studiert. Ihre musikalischen Fähigkeiten konnte man in den letzten Jahren immer wieder auf der Bühne erleben, zum Beispiel in der überraschend erfolgreichen Attentäter-Farce „Call me God“, die Marius von Mayenburg in Szene setzte. Ein kleines Mayenburg-Team fand sich bei dieser heiter durchdrehenden Sause: Katrin Röver, Lukas Turtur, Thomas Gräßle und Genija Rykova. In von Mayenburgs „Bunbury“-Inszenierung spielten sie erneut zusammen. Und nun bringen sie, ohne Rykova, aber mit anderem aus dem Ensemble, Stefano Massinis „Lehman Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie“ auf die Bühne.
In Massinis monumental ausuferndem Stück wird über drei Generationen hinweg die Geschichte jenes Großunternehmens erzählt, das 2008 Insolvenz anmelden musste, mit den bekannten globalen Folgen. Lauter konnte eine Spekulationsblase nicht platzen. „Es geht darum, wie Mitte des 19. Jahrhunderts drei Brüder aus Bayern aufbrechen, um sich in den USA ein besseres Leben zu machen“ erzählt Katrin Röver. „Erstmal ging es darum, dass sie sich ihre Existenz sichern wollten. Sie fingen ja klein an, als Textilhändler. Bei der Baumwolle gab es aber schon die ersten Opfer, die Sklaven, ohne die das Geschäft nicht angerollt wäre. In der Folge haben die Lehmans Entscheidungen treffen müssen, die zwar menschlich nachvollziehbar sind, aber moralisch immer fragwürdiger wurden.“

Ein Stück Kapitalismusgeschichte entfaltet sich, aber allzu bitter und bierernst wird es in von Mayenburgs Inszenierung wohl nicht zugehen. „Er eröffnet uns immer wieder eine Spielwiese“, schwärmt Katrin Röver, „lässt uns ausprobieren, um dann zuletzt alles inhaltlich wieder einzupacken. Diese intellektuelle Fähigkeit plus die zwischenmenschliche, dass er es versteht, unsere Spielfreude herauszuholen – das ist einfach toll.“
Wie fatal die Geschichte der Lehman Brothers endete, ist bekannt. Wie der Lebenscrash von Frida in „Dinky Sinky“ ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Katrin Röver hat in den nächsten Tagen jedenfalls viel zu tun: heute Filmpremier, am Mittwoch Premiere im Resi. Wo sie angespannter sein wird, weiß sie nicht genau: „Ich stelle mir das komisch vor, mich auf der Leinwand zu sehen.“ Kleine Prognose: Die Nervosität wird gehen. Die Kurve geht nach oben. Tolles Wachstum.
   
Film: „Dinky Sinky“: Premiere heute, 22 Uhr, Arri. Weitere Vorstellungen Mi, 29.6., 17 Uhr, HFF; Do, 30.6., 15 Uhr Mchn. Freiheit

Theater: „Lehman Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie“: Premiere, Mi, 19.30 Uhr,
Residenztheater, Tel:  2185 1940

 

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