Doris Dörrie: Die Frau, die sich vieles (zu)traut

Sie ist eine Institution - wie man so sagt. Auch wenn sie bei diesem Begriff streng die Stirn runzelt, weil sie zwar selbstbewusst ist, aber lieber modern und agil rüberkommt als altehrwürdig. Aber Doris Dörrie gehört zu den populärsten deutschen Regisseuren, prägt das deutsche Filmschaffen mit über 40 Kino- und TV-Filmen seit den 80er Jahren. Sogar sieben Operninszenierungen brachte sie auf die Bühne. Das Filmfest München widmet seine diesjährige Hommage dieser Powerfrau.
Doris Dörries Film "Freibad" feiert Premiere auf dem Filmfest München
Neben der Weltpremiere ihres Films "Freibad" gibt es leider nur zwei weitere Filme zu sehen: "Mitten ins Herz" von 1983 mit Josef Bierbichler, der einer 22-jährigen ein ganz und gar nicht unmoralisches Angebot macht. Und den Ensemblefilm "Bin ich schön?" von 1998 nach eigenen Texten. Denn seit 1987 machte sie sich auch einen Namen als Schriftstellerin mit Romanen, Kurzgeschichten und Kinderbüchern. In dieser Tragikomödie verknüpfen sich die Schicksale von 16 Personen in München und Sevilla. Mit von der Partie bei Ehedramen, Affären und Eifersucht unter anderem Senta Berger, Iris Berben, Nina Petri und Franka Potente.
Warum ausgerechnet diese beiden Filme? "Beide haben Frauen im Mittelpunkt zu unterschiedlichen Zeiten und ihre Vorstellungen von Arbeit, Liebe, Familie Freundschaften und ihren Platz in der Gesellschaft", so Dörrie, der die Hommage viel bedeutet: "Ich mache seit mehr als 45 Jahren Filme und lebe genau so lange in München, aber es gab noch nie eine Retrospektive oder eine Reihe meiner Filme, beispielsweise im Filmmuseum". Da sollte es einigen Verantwortlichen laut in den Ohren klingeln!
So startete Doris Dörrie ihre Karriere
Schon als Sechsjährige spielte sie mit ihren Schwestern Theater und versuchte sich an "Dornröschen". Nach dem Abitur machte die Hannoveranerin als 18-Jährige Nägel mit Köpfen und sich auf nach Amerika, wo sie Schauspiel und Film studierte, zwei Jahre in Los Angeles und New York verbrachte, für ein paar Dollar in Cafés jobbte und als Filmvorführerin am Goethe-Institut. 1975 kam sie zurück und begann in München, der damaligen Filmstadt Nummer 1 und ihre Wahlheimat bis heute, ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Ihr Abschlussfilm "Der erste Walzer" erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher und ihrer ersten Lebenserfahrungen.
Seit 1997 leitet sie den Lehrstuhl für "Creative Writing" an der HFF München. Hier hat Dörrie auch durch unkonventionelle Aktionen Aufmerksamkeit geweckt. So konnte 2019 jeder, der wollte, unter dem Motto "Häkel the Plastic" vor der HFF mit gesammeltem Plastik an einem Stück Meeresteppich häkeln. Parallel dazu wurden Geschichten über das Meer und den Müll aus Wissenschaft und Literatur abgespielt. Im April und Mai dieses Jahres organisierte sie kostenfreie Online-Schreibworkshops für jeden und jede. Denn die Regisseurin und Autorin findet: "Wir sind alle Geschichtenerzähler. Vielleicht macht uns das zu Menschen", so steht es in ihrem Buch "Leben Schreiben Atmen" von 2019. Im gleichen Jahr wurde sie in die Oscar-Academy aufgenommen.
Bernd Eichinger liebte Dörries anarchisches Temperament
Mit dem Dauerbrenner "Männer" (1985) über zwei rivalisierende Typen lockte sie fünf Millionen Zuschauer ins Kino. Die WG- und Beziehungskomödie mit Blick auf den Zeitgeist der 80er Jahre machte nicht nur sie auf einen Schlag berühmt, sondern auch Uwe Ochsenknecht, Heiner Lauterbach und Ulrike Kriener, mit der sie sich zeitweise eine WG teilte. Und sie brachte es sogar auf den "Spiegel"-Titel als die "Männer-Frau". Das wiederum machte den 2011 verstorbenen Erfolgsproduzenten Bernd Eichinger neugierig. Bei "Ich und Er", ihrem einzigen in den USA gedrehten Film, flogen die Fetzen, und sein Spruch "Ich will die Welt, sie will Schwabing", ging ihr unter die Haut.
Der Alpha-Mann und die Alpha-Frau "hassten" sich geradezu und wurden dann beste Freunde. Eichinger liebte Dörries anarchisches Temperament, und sie vergaß nie, wie er sie nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, dem Kameramann Helge Weindler, während der Dreharbeiten in Spanien zu "Bin ich schön?" unterstützte - und vor dem finanziellen Ruin rettete.
In ihrem Lebenswerk geht sie den Fragen des Lebens nach. Mit ihrer sehr eigenen Filmsprache passt in keine der üblichen Schubladen. Sie zeigt weder Scheu vor populärer Unterhaltung noch vor gewichtigen Arthousefilmen, lässt sich nicht auf ein Genre festnageln, verbindet Leichtigkeit und Tiefe - oft verpackt in komische wie tragische Alltagsgeschichten.
Das Leben in seinen Facetten tobt überall
Dörrie scheut weder Humor noch Trauer, ihre Figuren lieben das Leben, auch wenn ihnen der Schmerz manchmal den Atem nimmt, wie in "Kirschblüten - Hanami" aus dem Jahre 2008, eine poetische Reise in das Innere des Seins mit Elmar Wepper und Hannelore Elsner.
Ihre Verbundenheit zu Japan schlägt sich erneut acht Jahre später nieder in dem in brillanten schwarz-weiß gedrehten "Grüße aus Fukushima" über die Menschen in der nuklear verseuchten Gegend um das 2011 beschädigte Atomkraftwerk. Ihre Liebe zu Japan und ihre Faszination für dieses fernöstliche Land brachte sie auch zur Hinwendung zum Buddhismus: eine Konstante in ihrem Schaffen und vielleicht der Grund für ihre entspannte Lässigkeit und Inspiration für das Roadmovie "Erleuchtung garantiert" (2000) oder "Der Fischer und seine Frau (2005).
Woher kommen die Ideen? Sie ist eine "Sammlerin" und oft mit dem Notizbuch unterwegs, schreibt auf, was sie beobachtet, ob in der einstigen abgerockten Schwabinger Kultkneipe Stop In oder ganz einfach auf der Straße. Das Leben in seinen Facetten tobt überall. Vieles ihrer Themen handeln von Selbstfindung, von Menschen an Wegkreuzungen und immer wieder von Frauen, die nicht still vor sich hinkümmern, sondern hungrig nach Leben sind und versuchen, aus der Routine auszubrechen, Scheitern inklusive.
Alle ihre Figuren suchen "ihren Platz und ihr Glück und müssen darum kämpfen. Oft sind es von der Gesellschaft marginalisierte und diskriminierte Figuren", sagt Dörrie und nennt Filme wie "Im Innern des Wals", "Happy Birthday, Türke" nach Jakob Arjounis Bestseller oder "Keiner liebt mich" basierend auf ihrer Kurzgeschichtensammlung "Für immer und ewig".
Und jetzt natürlich: "Freibad". Da treffen sich im einzigen Frauenbad Deutschlands die unterschiedlichsten Damen, ob dick oder dünn, alt oder jung, im Bikini, Badeanzug oder der Burkini, deutsch oder mit multikulturellem Hintergrund. Klar, dass es zu Querelen über die entgegengesetzten Vorstellungen des Zusammenlebens kommt.
Frausein heißt "Herausforderung in einer patriarchalischen Gesellschaft", die Dörrie ein Dorn im Auge ist. Sie hat sich in einer Männerdomäne durchgesetzt und setzt sich für die Quote ein, um endlich ein Gleichgewicht und Gerechtigkeit zu erreichen. Dass an der HFF München zwar über 70 Prozent Studentinnen ausgebildet werden, aber nur karge 15 Prozent als Regisseurinnen arbeiten, fuchst sie. Für die Grenzgängerin bedeutet "Schreiben, die Welt einatmen", auch das Drehbuchschreiben.
Sich gemütlich zurücklehnen und auf den Lorbeeren ausruhen, ist nicht ihr Ding. Es plagen sie immer Zweifel, "aber nicht zwischen der Wahl, ob ich lieber schreibe oder Filme mache. Ich bin dankbar, dass ich beides machen darf und ich kann mir das eine ohne das andere nicht vorstellen. Dieses Jahr bin ich besonders glücklich, ein Buch herausgebracht zu haben: ,Die Heldin reist', und einen Film: "Freibad'. Das kommt nicht so oft vor!"
Auf dem Filmfest: "Freibad": diesen Samstag, 21.30 Uhr, Kino, Mond & Sterne im Westpark, sowie Mi, 29.6., 20.30 Uhr, Astor im Arri. Und: "Bin ich schön": diesen So, und Di, 28.6., jeweils 17 Uhr Filmmuseum. "Mitten ins Herz": Mo, 27.6. 17 Uhr und 28.6., 20 Uhr, Filmmuseum