Dominik Grafs "Fabian": Vom Schwimmen in der Strömung

Dominik Grafs "Fabian - Oder der Gang vor die Hunde" ist nicht nur uns, sondern auch Erich Kästner ganz nah.
Adrian Prechtel
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Fabian (Tom Schilling) mit der nymphomanen Irene Moll (Meret Becker).
Lupa Film, Hanno Lentz, DCM Fabian (Tom Schilling) mit der nymphomanen Irene Moll (Meret Becker).

Harte Beats begleiten die dynamische Eingangssequenz. Wir steigen mit der Kamera aus dem Berliner U-Bahnwagen, wühlen uns durch heutige Paare und Passanten. Kaum merkt man in der Hektik der Symphonie der Großstadt, dass sich die Menschen um einen herum stilistisch verändern, und während man die Stufen zur Oberfläche hoch eilt, löst sich ein Mensch vorwärtsdrängend von uns.

Wir fallen leicht zurück, sind ihm dicht auf den Fersen, sehen ihn aber nur von hinten. Oben angekommen wendet er sich nach links, so dass wir jetzt Tom Schilling erkennen, wie er seinen Kumpel (Albrecht Schuch) trifft. Und in diesen wenigen Augenblicken sind wir in unseren Laufschritten zurück in den späten 20ern angekommen. Und es wird atemlos auch durch das freizügige Nachtleben Berlins weitergehen.

Sadomasoclub mit Künstlern und Kuriosen

"Mir wächst der Unterleib meiner Frau über den Kopf", sagt ein freudianischer Doktor und bietet seine Frau (Meret Becker) zur Befriedigung durch andere an. Sie wird verdrogt und somnambul durch die langen Nächte und die Cabarets geistern - bis hin zu einem sadomasochistischen Club, in dem Künstler und Kuriose auftreten, um sich erniedrigen und beschimpfen zu lassen.

Kästner kämpfte 1931 mit "Fabian" auch gegen die Zensur ("pornographisch") sowie seinen Verlag, der seinen Untertitel "Der Gang vor die Hunde" als zu pessimistisch ablehnte. Dominik Graf kann heute natürlich freier agieren, auch wenn er selbst so wenig pornografisch oder voyeuristisch ist, wie es der Originalroman war.

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Fabian ist unser Beobachter und auch Kästner selbst. Er leidet - dabei aber völlig unprüde und alles andere als reaktionär - an der Dekadenz und dem moralischen Treiben der Zeit: Sex statt Gefühl. Und gesellschaftlich: Ideologie statt Demokratie. Tom Schilling ist - wie schon in "Oh Boy" - wieder als bohèmehafter Großstadt-Drifter eine Idealbesetzung: etwas schlafwandlerisch, ironisch, mit einer Distanziertheit, die auch der Selbstschutz eines Sensiblen ist. Und wir werden zum Beobachter des Beobachters, was Graf dazu nutzt, das Geschehen nicht nur zu zeigen, sondern auch noch - eben als Erzähler - aus dem Off zu befragen.

Dominik Graf inszeniert kunstvoll die doppelte Distanziertheit

Und es ist Dominik Grafs Kunst, dass diese doppelte Distanziertheit des Films mit seinen Zwischentiteln als leichten Entfremdungseffekten keine Kälte beim Zuschauer erzeugt, sondern eine neugierige Wärme mit einem künstlerischen Bilderrausch im sommerlichen und hier oft nächtlichen, untreuen Berlin. Etwas ruhiger wird der gelangweilte Werbetexter Fabian in seinem planlosen Leben, als er sich in eine Rechtsreferendarin (Saskia Rosendahl) verliebt. "Ich warte noch auf eine Gelegenheit zur Treue", sagt er ihr, und Cornelia erwidert: "Das ist ja eine Liebeserklärung!".

Aber als er der Liebe eine Chance gibt, werden die Zeiten härter, und er arbeitslos. Kommt jetzt erst das Fressen, dann die Moral? Sie jedenfalls wird sich einen älteren, reichen Gönner aus der Filmbranche suchen, sich nach oben schlafen. Aber sie weiß um den Preis: "Was soll aus mir werden? Eine unglückliche Frau, der es gut geht." Dennoch zeigt der Film in schlaglichtartigen Szenen eine aktuelle Moderne mit - auch sexuell - emanzipierten Frauen, für die es geschlechtergerecht auch Männerbordelle gibt.

Zuvor ist der dritte im Bunde Fabians reicher Freund Labuse, ein sensibler, lebensmüder Salonbolschewist im edlen Bauhaus-Bungalow, wo er mit Fabian und Cornelia Trinkpflicht- und Wahrheitsspiele treibt - und sich erschießt. Denn resigniert stellt er fest, "dass der Wind sich dreht" - politisch brutal nach rechts. Und das scharfe Aufgepasst-Zuschlagen-Pfeifen der SA-Schlägertrupps durchschneidet die lauen Nächte.

"Fabian - oder der Gang vor die Hunde" - fantastischer Reigen der Bilder

Im zweiten Teil verliert "Fabian" dabei etwas an Tempo, verstolpert sich auch manchmal rhythmisch, was man nur dadurch so spürt, weil er so mitreißend atemlos begonnen hat. Und etwas plakativ kathederhaft wird gegen Ende ein Professor ohne Rückgrat gezeigt, der sich der NS-Zeit anbiedert. Aber bei allen kleinen Schwächen bleibt "Fabian - oder der Gang vor die Hunde" ein fantastischer Reigen der Bilder und Themen, die intensiv auf einen eindringen.

Dominik Grafs Film ist dabei nicht zeitlos. Er bleibt in der Weimarer Republik, und doch schimmert unsere Gegenwart durch - wie in unseren modernen Messing-Stolpersteinen auf dem Trottoir, die auf Ermordete hinweisen. Überhaupt kann man ja auf die Weimarer Republik kaum zurückschauen, ohne ihr Ende im Nationalsozialismus zu kennen.

Kästner selbst hatte ja in seiner gesellschaftlichen, menschlichen Sensibilität den drohenden moralischen Kollaps im Nationalsozialismus kommen sehen. Und so geht auch Fabians Romanmanuskript im Film in Flammen einer Bücherverbrennung auf, wie auch Kästners Bücher bei der NS-Bücherverbrennung zwei Jahre später verbrannt wurden, was ihn endgültig in die innere Emigration zwang. Aber all diese zeitlichen Vorverweise sind elegant, fast beiläufig eingestreut.

Und was wird in solchen Zeiten aus einem "Moralisten"? Fabian wird sich nicht erschießen, auch nicht abtauchen, sondern untergehen, weil er kein Mitschwimmer im abstoßenden Zeitgeiststrom sein will oder kann, wenn alles politisch moralisch vor die Hunde geht.

Kino: City, Leopold, Rio, Isabella, R: Dominik Graf (D, 186 Min.)

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