Dokumentation über Elfriede Jelinek: Schreiben, um zu überleben

Es mag überraschen, aber die literarische Karriere von Elfriede Jelinek begann damit, dass sie die Wirklichkeit beschönigte. So schrieb sie in der Volksschule Muttertags-Gedichte, in denen sie bewusst log, "um meine Mutter zu besänftigen". Während Jelinek auf der Soundspur davon erzählt, sieht man in Claudia Müllers Dokumentarfilm alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von ihr und ihrer Mutter Olga, wie sie nebeneinandersitzen oder Olga hinter ihr steht. Die dunkel gekleidete Mutter überragt naturgemäß ihre Tochter, aber durch das, was Jelinek sagt, bekommen die Fotos auch eine metaphorische Note.
Von "Scheherazade-Geschichten" spricht Jelinek; das Schreiben war für sie eine Überlebenstechnik und sollte zum fast schon rebellischen Akt werden. Denn während Olga sie mit 14 Jahren aufs Wiener Konservatorium schickte, wo sie nach dem Klavier- und Geigenunterricht ihrer Kinderzeit auch noch Orgel, Blockflöte und Komposition studierte, wandte Elfriede sich letztlich der Literatur und damit genau der Kunst zu, die nicht von der Mutter gefördert wurde. Für ihre ersten Gedichte und Prosastücke gewann sie bereits Preise; Dekaden später, 2004, erhielt sie den Literaturnobelpreis.
Befreiung im Schreiben
"Für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in ihren Romanen und Dramen" wurde Jelinek laut Jury-Begründung ausgezeichnet. Das Musikalische und Vielstimmige ist in ihrer Biografie angelegt, sowie der Drang, sich zumindest im Schreiben zu befreien. "Elfriede Jelinek - Die Sprache von der Leine lassen" lautet der Titel von Claudia Müllers Film, der sich dem Sound Jelineks hingibt und gleichsam musikalisch Bild und Ton zu einem stimmungsvollen, ästhetisch reizvollen Porträt montiert.
Dabei war der Film von vornherein eine starke Herausforderung, hat Jelinek sich doch in den letzten zwanzig Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Schon lange gibt die Schriftstellerin keine Interviews mehr, kommunizierte aber mit der Regisseurin per E-Mail. Ein kurzer Dreh mit Jelinek in München und ein aufgenommenes Gespräch zur Klärung letzter Fragen fand aber dann doch statt.
Jelineks weitgehender Rückzug hängt einerseits mit einer Angststörung zusammen, die ihr das Verlassen der eigenen vier Wände schwer macht; zur Nobelpreis-Verleihung in Stockholm reiste sie erst gar nicht an. Andererseits stand sie bereits vor der Auszeichnung immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Nachdem sie in ihrem Stück "Burgtheater", 1985 in Bonn uraufgeführt, die Verflochtenheit von Burgtheater-Legende Paula Wessely mit dem Nazi-Regime herausgekehrt hatte (Wessely spielte 1941 im antisemitischen Propagandafilm "Heimkehr" die Hauptrolle), wurde Jelinek in Österreich erst recht als "Nestbeschmutzerin" angefeindet. "Seither polarisiere ich, hoffnungslos", stellt sie im Film fest.
Harsche Reaktion der Literaturkritiker
Auch die Literaturkritik ging oft harsch mit ihr um, entlarvte sich dabei selbst in ihren patriarchalen Sichtweisen. Wie Marcel Reich-Ranicki sich 1989 im "Literarischen Quartett" über die desillusionierende Darstellung von Sexualität in Jelineks Roman "Lust" echauffierte, was Sigrid Löffler als einzige weibliche Diskutantin treffend kommentierte - "Sie werfen ihr vor, dass Sie über die Sexualität nicht aufgeilend schreibt!" -, ist eine der amüsanten wie betroffen machenden Momente im Film.
Dass sie der österreichischen Gesellschaft immer wieder den Spiegel vorhielt, dass sie alte Naziverbrechen, zum Beispiel in ihrem Stück "Rechnitz", schonungslos beleuchtete - dafür musste und muss Elfriede Jelinek einen hohen Preis zahlen. Ist sie vielerorts hochgeschätzt, so wird sie andernorts attackiert und herabgewürdigt. Was sie jedoch nicht aufhält: Ihr Schaffen geht unermüdlich weiter.
Innere Zerrissenheit und assoziative Bildfolgen
Claudia Müllers Dokumentarfilm, der ihr erster abendfüllender ist, zerfasert ein wenig, erzählt zunächst recht konzentriert von der Genese der Künstlerin und ihrer inneren Zerrissenheit, die auch in der Geschichte ihrer Eltern angelegt ist, um dann vor allem ihr Werk ausschnitthaft zu assoziativen Bildern sprechen zu lassen. Die Texte Jelineks bringen Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Sandra Hüller, Ilse Ritter, Maren Kroymann und Martin Wuttke bravourös zum Klingen, dazu sieht man Archivmaterial und neue Aufnahmen, die Müller und ihr Team in Jelineks Heimat, der Steiermark, gedreht haben.
Einmal fährt die Kamera von Christine A. Maier langsam auf einem Weg zwischen schneebedeckten Bäumen, während Sandra Hüller mit einer verstörenden Passage aus "Lust" zu hören ist. Der Kontrast zwischen der Naturidylle und der geschilderten männlichen Gewalt erscheint groß. Aber das macht ja die Literatur Jelineks aus: Ihre Sprache führt in Abgründe, in die manche nicht (mehr) hineinschauen möchten, reißt aber aufgrund ihrer wortverspielten Virtuosität und eiskalten Brillanz unweigerlich mit. Müllers Dokumentarfilm macht Lust darauf, sich diesem Werk auch noch mal lesend zu widmen.
Regie: Claudia Müller (Deutschland, 96 Min.); zu sehen in folgenden Münchner Kinos: City, Leopold, Monopol, Studio Isabella, Theatiner Filmpalast