Dokumentarfilm "Moonage Daydream": Ein rasender Lebens-Trip

Man sollte als Regisseur nicht den Fehler machen, einen Dokumentarfilm mit einer Disneyland-Fahrt auf LSD zu verwechseln. So wie Brett Morgan bei seinem David-Bowie-Film "Moonage Daydream".
Regisseur Brett Morgan wollte einen "maximalistischen" Film
Der US-Regisseur hatte schier unbegrenzte Möglichkeiten: Die Nachlassverwalter waren kooperativ, das Archiv des 2016 verstorbenen Superstars samt zahlloser O-Töne stand ihm offen, und dessen Produzent Tony Visconti und "Bohemian Rhapsody"-Tonmeister Paul Massey mischten zahllose Studio- und Live-Aufnahmen neu und wohlklingend.
Aber der Regisseur wollte sich nicht darauf beschränken, Bowie und seine Musik sprechen zu lassen. Nein, er wollte ein eigenes Kunstwerk schaffen, ein Kaleidoskop, einen "maximalistischen" Film. Er sei von den Laserium-Shows von Pink Floyd inspiriert worden und von Themenfahrten in Disneyland, die er auch schon mit Vergnügen auf Acid erlebt habe.
Kombination aus visuellen, musikalischen und verbalen Informationen erschlägt
Das beschreibt, was den Zuschauer erwartet: Er wird mit kürzesten Einstellungen bombardiert, mit Bildern von Bowie oder jubelnden Fans, mit Animationen oder Stummfilmschnipseln futuristischen Inhalts. All das in wilder Kombination und über weite Teile mit einer Schnittfrequenz, die hektischen Musikvideos entspricht - und das 134 Minuten lang.
Doch Morgan belässt es nicht bei diesen ewigen visuellen Ch-ch-ch-ch-Changes und der Musik, sondern erzählt obendrein mit Bowies O-Tönen im Off dessen künstlerische Lebensgeschichte. Diese Kombination aus visuellen, musikalischen und verbalen Informationen erschlägt.
David Bowie: Wie ist es, in einer Stadt zu leben, die ich hasse?
Dabei ist die hier größtenteils linear erzählte Künstlerbiografie doch so interessant, diese Geschichte des ewig Suchenden, der nicht ankommen, ständig seinen Horizont erweitern will, der Inspirationen in fremden Ländern sucht, um sich immer neu erfinden zu können.
Als er sich in den frühen Siebzigern als androgyner, demonstrativ bisexueller Glamrock-Superstar etabliert hat, zieht er aus der britischen Heimat nach L.A.: Er will herausfinden, wie es sich auf sein Schreiben auswirke, in einer Stadt zu leben, die er hasst.
In West-Berlin haust David Bowie in einer nahezu möbellosen Wohnung
Danach sucht er den größtmöglichen Gegensatz zum Golden State und zieht in die "härteste Stadt" Europas. In West-Berlin haust er in einer nahezu möbellosen Wohnung und sucht mit Brian Eno neue Wege, Musik zu erschaffen. Außerdem malt er, erschafft Skulpturen, dreht Videos, schreibt Filmdrehbücher, will jeden Tag, jede Minute kreativ nutzen.
Und das alles sei auch Kunsttherapie: Ihn treibe die Angst, dass er nicht nur exzentrische künstlerische Ideen habe, sondern die Veranlagung seines älteren Halbbruders Terry teile: Der inspiriert ihn wie kein zweiter, bringt ihm Jack Kerouac und John Coltrane nahe, wird dann schizophren und verbringt einen großen Teil seines Erwachsenenlebens in Nervenkliniken, bevor er 1985 Selbstmord begeht.
Zu dieser Zeit ist Bowie Mitte dreißig und beginnt - nach eigener Aussage - das Leben zu genießen, will "positive" Musik machen und wird mit dem Album "Let's Dance" auch nach kommerziellen Maßstäben zum Superstar. Er spielt in Arenen, und seine "Glass Spider"-Tour" lässt er 1987 von Pepsi sponsern, wie im einzig kritischen Moment des Films erwähnt wird.
David Bowie spricht luzide und eloquent über das Künstlersein und die Kunst
Doch bald beginnt er sich auf dem Mainstream-Weg wieder unwohl zu fühlen und seine Musik wird wieder sperriger, abseitiger. Viel ist davon aber nicht mehr zu hören: Die letzten dreißig Jahre werden in "Moonage Daydream" schnell abgehandelt.
Brett Morgan lässt im Off ausschließlich Bowie sprechen und verzichtet so auf jegliche Distanz. Inwieweit man dessen Worten für bare Münze nehmen sollte oder Selbstinszenierung auf den Leim geht, lässt sich unmöglich entscheiden. Aber das ist nicht das Problem, im Gegenteil: Wie luzide und eloquent David Bowie über das Künstlersein und die Kunst spricht, ist die große Stärke des Films, neben der Musik natürlich. So empfiehlt es sich, manchmal einfach die Augen zu schließen und nur zuzuhören, zumal angesichts des guten, wuchtigen Sounds in Kinos. Diese wurden zwar nicht für Hörspiele gebaut - aber für Disneyland-Erlebnisse auf Drogen auch nicht.
Kino: Cinemaxx, City, Leopold, Mathäser, Monopol (alle OmU) sowie Astor im Arri, Cinema, Museum (OV); R: Brett Morgan (GB, 134 Min.) - der Soundtrack "David Bowie: Moonage Daydream" mit 45 Aufnahmen erscheint am Freitag digital, am 18. November als Doppel-CD (Parlophone/Warner Music)