Doku über Shane MacGowan: Was vom Leben übrig blieb

Kein Drehbuchautor der Welt könnte sich eine bessere Figur ausdenken als Shane MacGowan, diesen wüsten Trinker und feinen Poeten. Keine Story könnte größer geraten als die Lebensgeschichte dieses Iren, der als Fünfjähriger zwei Guinness am Tag trank, der saufend Weltruhm erlangte und dann komplett abstürzte. Und Maskenbildner könnten auch nichts Originelleres hinkriegen als dieses Gesicht mit den um 90 Grad abstehenden Ohren und dem schiefen Gebiss ohne Schneidezähne, das seiner Wirkung auf Frauen aber keineswegs abträglich war. Kurzum: Ein Film über Shane MacGowan war unumgänglich.
Zumal der heute 63-Jährige sich auch selbst gern auf der Leinwand sehen wollte. Die naheliegende Wahl für die Regie war Julien Temple, der schon Filme über Joe Strummer und die Sex Pistols gedreht hatte, die die Initialzündung für Shane MacGowans Musikkarriere waren.
Shane MacGowan musste Julien Temple erst überreden
Doch Temple wusste, dass MacGowan sehr schwierig ist, und so musste der Protagonist seinen Regisseur zu dem Dokumentarfilm erst überreden. Als Julien Temple dann endlich eingewilligt hatte und loslegen wollte, sagte Shane MacGowan: Er gebe keine Interviews.
Es sei eine Frage der Selbstbeherrschung gewesen, sagt Temple, nicht einfach sofort das Weite zu suchen. Aber er biss sich rein, suchte alle erdenklichen Film- und Tonbandaufnahmen von MacGowan aus den letzten Jahrzehnten und hatte obendrein eine gute Idee. Er bot Shane Gesprächspartner an, die er nicht ablehnen konnte: Gerry Adams, den ehemaligen Präsidenten der Partei Sinn Féin, der der glühende irische Republikaner und Katholik MacGowan nahesteht; Johnny Depp, mit dem er seit 30 Jahren befreundet ist und der den Film mitproduzierte; schließlich MacGowans Frau Victoria.
MacGowan spricht mit Gerry Adams und Johnny Depp
Sie alle unterhalten sich mit einem Wrack: MacGowan sitzt im Rollstuhl, von Alkohol und Drogen deformiert, krumm und kreidebleich, das Lachen nur noch ein leises Schnarren. In der Hand hält er stets ein Glas Wein, ansonsten erlebt jeder Gesprächspartner einen anderen Shane: Mit Adams spricht er höflich über irische Geschichte und Literatur ("Wir sind ein belesenes Volk, selbst die Analphabeten."), zu seinem Zechbruder Johnny Depp ist er weniger zuvorkommend ("Wieso glaubst Du, ich sei in der Lage, bei ,Pirates of the Carribean' nicht einzuschlafen?"), und einem Kompliment für seine attraktive Frau schickt der Mann im Rollstuhl dialektisch die Worte voraus: "Du kannst eine echte Bitch sein, aber ..."

Das gewaltige Selbstbewusstsein dieses körperlich zerstörten Mannes ist also ungebrochen. Er sei von Gott auserkoren worden, sagt er zu Beginn des Films, die irische Musik zu retten und ihr zur größten Popularität aller Zeiten zu verhelfen. Er, der Junge aus dem irischen Tipperary, wo er mit der Großfamilie auf einem Bauernhof ohne Elektrizität lebte, ohne fließendes Wasser, ohne Toiletten. Aber mit großer Feierlaune: Jede Nacht ging es hoch her, der kleine Shane wurde auf den Tisch gehoben, um zu singen, und mit fünf bekam er vom Guinness ab. Seine Tante, das religiöse Familienoberhaupt, gab ihm aber auch tagsüber Schnaps, wenn sie im Katechismus lasen. Wenn man ihnen genug gibt, wenn sie jung sind, so seien die Alten laut Shane überzeugt gewesen, übertreiben sie es später nicht.
Mac Gowans Mutter wurde depressiv
Wie sehr man Shane MacGowans Schilderungen im Detail glauben darf, ist schwer einzuschätzen, zumal er die Kindheit in Irland fast märchenhaft verklärt. Der harte Bruch in seinem Leben kam, als die Familie nach London emigrierte. Dort wurden sie als "Paddies" diskriminiert, die Mutter wurde in der Hochhaushölle depressiv. Nach einer Jugend mit Saufen, Schnüffeln, Drogenhandel und kurzzeitig sogar Prostitution fand Shane die Erlösung im Punk, und berühmt wurde er schon, bevor er selbst Musik machte: Er und eine Freundin bissen sich in der ersten Reihe eines Clash-Konzerts gegenseitig in die Arme, bis sie blutüberströmt waren, und sie zerbrach eine Flasche über seinem Ohr, von dem dann ein Stück fehlte. Das Bild des Blutüberströmten landete auf dem Titel des "New Musical Express", unter der Überschrift: "Kannibalismus bei Clash-Konzert".
Mit seiner ersten Band spielte er selbst Punk, doch als Anfang der Achtziger World Music in England populär wurde, hatte er den Geistesblitz: Wenn Folklore aus aller Welt erfolgreich sei, wieso dann nicht auch die irische Volksmusik von nebenan, zumal diese ähnliche Energie habe wie Punk? Der Triumphzug der Pogues begann in der Diaspora von London, wo zahllose Iren lebten, und immer mehr von ihnen kamen zu den Konzerten, bei denen das Publikum stets genauso besoffen war wie die Band.
Nach Tour musste der Pogues-Sänger in die Klinik
Im Lauf der Achtziger stiegen die Pogues weiter auf, auch weil MacGowan nicht nur energiegeladene Folksongs singen, sondern - natürlich im Rausch - feine Balladen wie "A Pair Of Brown Eyes" oder "A Rainy Night In Soho" schreiben konnte. Mit "Fairytale Of New York", einem Weihnachts-Duett mit Kirsty MacColl, hatten die Pogues sogar einen Welthit. Diese Jahre des Aufstiegs seien eine wunderbare Party gewesen, sagt MacGowan, doch danach ging es bergab. Bei der einjährigen Welttournee 1988 mussten die Pogues, angetrieben von einem gewinnbeteiligten Manager, täglich auf die Bühne. Zuviel für MacGowan: In Neuseeland malte er sich und das komplette Hotelzimmer blau an, nach der Tour brachte seine Schwester ihn in die Klinik. Er sei nie mehr derselbe gewesen, sagt sie im Film.
Bald danach schmiss seine eigene Band ihn raus, dann kam noch Heroin ins Spiel. Die Leute rechneten ständig damit, sagt ein Reporter in einem uralten TV-Ausschnitt zu MacGowan, dass er im Lauf der nächsten zwei Wochen sterben würde. Dass er auch heute noch lebt, könnten irische Katholiken eigentlich bedenkenlos zum Wunder erklären.
Temple betrieb großen Aufwand
Doch so unglaublich die Lebensgeschichte dieses Shane MacGowan ist: Regisseur Julien Temple vertraute offenbar nicht darauf, dass sie sich von selbst erzählt. Er hat einen gewaltigen Aufwand betrieben, um alles, was MacGowan in alten Tonaufnahmen erzählt, auch auf der Bildebene darzustellen: Er ließ Animationsszenen produzieren, oft im Pop-Art-Stil, ließ Schilderungen aus der Kindheit nachspielen, schnitt viele Hundert Szenen aus alten Dokumentar- und Spielfilmen zusammen, um fast jeden Satz zu illustrieren.
Damit schießt er gewaltig übers Ziel hinaus: Als MacGowan sagt, dass er sich gern im Park mit Obdachlosen unterhielt, sieht man ebensolche im Park zechen; erwähnt er das Wort Fußball, sieht man einen Kopfball; singt er in einer Liedzeile von "Girls and Boys", werden Kinder ins Bild geschnitten. Dieses hektische Bild-Stakkato nervt, ja wirkt mitunter fast zum Lachen.
Der Film ist sehenswert
Temple hätte besser auf die ungebrochene Präsenz seines Protagonisten vertrauen sollen und auf die rhetorische Kraft dieses großen, lakonischen Erzählers, der in wenigen Worten Charaktere zum Leben erwecken kann: "Mein Onkel John war schweigsam. Alles, was er sagte, war ‚Fuck'. Ab und zu nahm er die Kappe ab, schlug eine Fliege tot, setzte sie wieder auf und sagte: ‚Fuck'."
Es ist Temples Verdienst, zwei Stunden voller O-Töne zu präsentieren, die man in Stein meißeln könnte - und das, obwohl der Protagonist nicht reden wollte. So ist der Film sehenswert, führt aber zugleich die romantisierte, leicht Comic-artige Legende des saufenden irischen Poeten Shane MacGowan weiter.
Wie es wirklich ist, Tag für Tag in diesem von Alkohol und Drogen zerschundenen Körper zu leben, den der Zuschauer da ständig sieht: Diese Frage wirft der Film auf, ohne sie zu beantworten.
Preview am 18. August um 20.30 Uhr im Monopol (Schleißheimer Straße 127, 80797 München), Telefon 089/38888493.