Doku „Nicht alles schlucken“

Monopol Kino: Jana Kalms Doku „Nicht alles schlucken“ untersucht die Risiken von Psychopharmaka.
Christoph Bartscherer |
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Für viele sind sie weiterhin ein Tabu, als bringe es Unglück, von ihnen zu sprechen, oder als sei es eine Schande, an ihnen zu leiden: seelische Krankheiten wie Psychose, Depression oder Schizophrenie. Dabei haben aufs Jahr gerechnet rund 33 Prozent der Bevölkerung eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Störungen. Sie sind also zu einer Art Volkskrankheit geworden, die sich nicht mehr negieren oder schönreden lässt. Um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und die Öffentlichkeit für das Thema weiter zu sensibilisieren, haben deshalb die Filmemacherin Jana Kalms und der Nervenarzt Piet Stolz die Dokumentation „Nicht alles schlucken“ gedreht, in der 20 Psychatrie-kundige Personen sich in einem eigens dafür organisierten Raum über ihre persönlichen Erfahrungen austauschen.

Trialogforen gegen das Gefühl der Ohnmacht

Kalms und Stolz greifen dabei auf das Modell der sogenannten „Trialogforen“ zurück, die bereits in 120 deutschen Städten eingeführt wurden und sich dort regen Zuspruchs erfreuen. Trialogforen sind Orte der Begegnung, an denen seelisch Kranke, deren Angehörige sowie medizinische Fachkräfte über ihren Umgang mit der Krankheit sprechen.

Im Zentrum des Films stehen dabei die Wirkungen und Risiken von Psychopharmaka, deren Bilanz erschreckend schlecht ausfällt. Die meisten der zur Wort kommenden Psychiatrie-Patienten wünschen sich ein Leben ohne Psychopharmaka, durch die sie sich gegen ihren Willen ruhiggestellt und entmündigt fühlen. Vor allem das Betäubtwerden durch hochdosierte Behandlungscocktails wird dabei als Zwang empfunden, dem der Geisteskranke ohnmächtig ausgesetzt ist. Hinzu kommt, dass in psychiatrischen Institutionen immer noch eine frappierende Beziehungs- und Spracharmut vorherrscht, die Psychiater oft als allmächtige Peiniger und „Täter“ empfunden werden und auch restriktive Maßnahmen bis hin zur physische Gewalt wie Zwangseinweisung, Fixieren oder Isolierzelle keine Seltenheit sind.

Diesem doch recht einseitigen Bild der Psychiatrie entspricht die Grundthese des Films, dass Psychopharmaka seelische Krankheiten nicht heilen, sondern diese nur vorübergehend lindern können. Eine Behandlung mit ihnen erscheint nach Maßgabe der Regie umso fragwürdiger, als Psychosen und schizophrene Störungen als tiefe, aber zum Leben gehörende Existenzkrisen dargestellt werden, denen am besten durch das Gespräch, durch das Sprechen über die Krise, beizukommen ist. Unterschlagen wird dabei, dass Psychosen und endogene Depressionen genetische und organische Ursachen wie Stoffwechselstörungen haben können, denen durch Verständnis und Dialog nicht beizukommen ist. Denn was nützt das beste Gesprächsforum, wenn ein Schizophrenie-Kranker ohne Tabletten gar nicht gesprächsfähig ist? Und was nützt der beste Psychotherapeuten, wenn wichtige Neurotransmitter im Gehirn fehlen? Entsprechend wenige Erfolge hat die Psychotherapie bei Psychosen aufzuweisen.

Andererseits zeigt der Film beeindruckend, dass in der Psychiatrie dringend Handlungsbedarf geboten ist, da sich viele Patienten allein gelassen und gesellschaftlich kaltgestellt fühlen. Es gilt also eine humanere Form der Psychiatrie zu entwickeln, die der Patient als Schutzraum und Chance empfindet, weil er sich nicht eingesperrt und vergewaltigt, sondern angenommen und verstanden fühlt.

Kino: Monopol R: Jana Kalms, Piet Stolz (D, 86 Min.)

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