Doku ist Chronik eines angekündigten Todes
München - Dieser Film bricht einem das Herz. In der Dokumentation „Amy“ erzählt der britische Filmemacher Asif Kapadia vom Aufstieg und Fall der Amy Winehouse, die am 23. Juli 2011 im Alter von nur 27 Jahren an einer Alkoholvergiftung starb. Der mit vielen bislang unveröffentlichten Privataufnahmen bestückte Film zeigt chronologisch die Geschichte eines Mädchens, das die Musik liebte und den Ruhm hasste – und auch daran zerbrach.
AZ: Herr Kapadia, erinnern Sie sich noch an den Moment, an dem Sie von Amys Tod erfuhren?
ASIF KAPADIA: Ich war in London. Und das wirklich Schockierende an der Meldung war ja, dass niemand schockiert war. Alle wussten, dass es eines Tages geschehen musste. Aber es ist einfach beschämend, dass Amy mit 27 Jahren mitten in London dieser von allen erwartete Tod ereilte.
Sie waren kein besonderer Fan von Amys Musik ...
Nein, ich kannte natürlich ihre Stimme und die populären Songs. Aber den Film habe ich nicht gemacht, weil ich sie so toll fand. Ich hatte einen Film über Ayrton Senna gemacht, und Amys Plattenlabel wollte so eine Art der Dokumentation auch über sie haben. Aber so arbeite ich nicht. Ich habe zwei Bedingungen gestellt: Ich brauche die Rechte für jegliche Musik von ihr – und ihr müsst mich in Ruhe lassen. Und ich hatte noch ein ganz spezielles Interesse ...
... Ja, bitte ...
Amy hat in Camden gewohnt, das ist mein Viertel, in dem ich schon viel länger wohnte als sie. Ich dachte also, es ist auch ein Film über die Gegend, die ich am besten kenne. Camden wurde Anfang des Jahrtausends so populär durch die Clubs, die Musik, die Drogen - diese Spannung, die positive Energie. Alle junge Menschen wollten nach Camden, es war so etwas wie die Carnaby Street in den 60ern oder später Notting Hill. Aber diese Atmosphäre wurde Amy zum Verhängnis. Sie hätte abhauen müssen. Wann immer Amy versuchte, ihr Haus zu verlassen, standen Dutzende von Paparazzis davor. Ein Alptraum, das ist einfach die Hölle. Für Amy war das aber der Alltag, niemand ließ sie in Ruhe. Die Polizei hat nicht eingegriffen, ihr Management auch nicht. Für mich ist das schwer zu verstehen, dass sie sich dieser Tortur ständig unterziehen musste.
Ist Ihr Film nicht auch Teil der Ausbeutung des Phänomens Amy?
Bis jetzt hat mir das noch niemand vorgeworfen. Meine Mission war es, die Wahrnehmung von Amy wieder in eine Balance zu bringen. Amys Freundinnen haben im Interview immer die Bezeichnung „die wirkliche Amy“ benutzt. Die wollte ich auch zeigen: das lustige Mädchen vor dem Ruhm.
Sie haben über 100 Interviews mit Menschen aus Amys Umfeld geführt. Hatten die keine Angst, sich Ihnen zu offenbaren?
Doch, selbstverständlich. Niemand von ihnen hat den Medien vertraut. Aber ich bin ein guter Zuhörer und irgendwann haben sie sich alle geöffnet und mir auch das private Filmmaterial anvertraut, aus dem ja größtenteils die Doku besteht. Meine Aufgabe war es also, aus dieser ganzen Information so etwas wie die Essenz aus Amys Leben zu filtern. Der Film ist ehrlich, er zeigt das Mädchen unter dem Beehive – ohne Schminke.
Der Höhepunkt von Amys Karriere ist einer der schlimmsten Momente im Film.
Oh je, die Grammy Verleihung in Los Angeles. Amy wird per Satellit aus den Riverside-Studios in London zugeschaltet und tritt auch auf. Sie ist seit ein paar Wochen clean. Sie erhält fünf Grammys. Die Welt liegt ihr zu Füßen. Und dann sagt sie ihrer Freundin hinter den Kulissen: „Weißt Du, ohne Drogen ist das alles so langweilig.“ Das ist so traurig. Ich glaube, Amy hatte ein wahnsinnig niedriges Selbstwertgefühl, sie konnte sich nicht über ihren Erfolg Freude. Freunde haben mir erzählt, dass sie mit ihr im Restaurant waren, als gerade ihr Album „Frank“ herausgekommen war. Ein Fan kam und sagte: „Du bist Amy? Oh, ich liebe Deine Musik.“ Aber Amy war wahnsinnig unhöflich zu ihm. Sie wusste nicht, wie man Anerkennung und Liebe annimmt. Sie war wirklich oft schrecklich zu Leuten, die es gut mit ihr meinten, und unglaublich nett zu Menschen, die fürchterlich zu ihr waren. Sie kennen die Story mit Prince? Nein, diese Story kommt im Film ja nicht vor. Prince hat 2007 genau 20 Konzerte in der O2-Arena in London gegeben und wollte mit Amy als Gast „Love is a Losing Game“ singen. Sie hatte damals ihre schlimme Drogenphase mit Blake. Jeden Abend hat Prince gewartet, Amy kam nicht, Blake hat sie damals total kontrolliert. An einem Abend kam sie doch, man kann den Konzertausschnitt auf Youtube sehen – einfach großartig. Aber danach gab es hinter den Kulissen einen beschämenden Vorfall, den ich wirklich nicht erzählen darf. Jedenfalls hat Amy auch diesen ruhmreichen Moment wieder total zerstört.
Sie geben Amys Vater Mitch, der die Familie verließ, als Amy ein kleines Kind war, eine große Mitschuld an dem, was mit Amy geschah.
Nein, ich zeige nur, was geschehen ist. Zum Beispiel als Amy ein halbes Jahr in der Karibik Ruhe suchte, und zumindest die harten Drogen sein ließ, auch wenn sie viel Alkohol trank. Dort besuchte sie ihr Vater. Und mitgebracht hatte er ausgerechnet ein Kamerateam eines Privatsenders! Alle aus ihrer Umgebung haben Amys Prominenz ausgeschlachtet.
Ihr Film ist ein Vampirfilm.
Sie können das sagen, ich würde das nicht tun. OK, alle haben sie ausgesaugt, aber einen Einwand gegen diese Deutung habe ich schon. Amy war immer die Cleverste im Raum, egal, ob sie von Ärzten oder Musikmanagern umgeben war. Und sie hat immer versucht, sie alle auszutricksen. Sie war nicht einfach ein schwaches Mädchen, das hilflose Opfer. Sie hat selbst bewusst falsche Entscheidungen getroffen. Sie hat ihren Freundinnen oft vor den Kopf gestoßen und sich mit den falschen Menschen umgeben. Das ist Teil von ihrer komplexen, widersprüchlichen Persönlichkeit.
Können Sie Amys Songs noch hören?
Was ich wirklich liebe, sind die Akustiksessions – Amy allein mit Gitarre. Das ist großartig. „Rehab“ und die ganzen Hits mochte ich nie. Die Alben sind doch ein wenig überproduziert.
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