DokFest-Tipp: Der Dokumentarfilm "The Last Seagull"

Eine Doku über einen Escort, der sich zur Ruhe setzen will.
Sophie Anfang |
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Ivan bietet seine Dienste vornehmlich ukrainischen und russischen Touristinnen an. Doch die Geschäfte liefen schon einmal deutlich besser.
Ivan bietet seine Dienste vornehmlich ukrainischen und russischen Touristinnen an. Doch die Geschäfte liefen schon einmal deutlich besser. © DokFest

Drahtig gebaut, mit verspiegelter Sonnenbrille und Dosenbier tänzelt Ivan über den Sunny Beach. Auf die Russinnen und Ukrainerinnen hat er es abgesehen. Reiche Touristinnen am bulgarischen Strand.

Russisch, das kann er, wenn auch nicht wirklich gut. Für Komplimente reicht es. Und wenn er mit den Frauen ins Gespräch kommt, ihnen schmeichelt, dann ergibt sich vielleicht etwas. Ein Abendessen, eine Nacht, ein ganzer Sommer.

Männer, die Frauen gegen Geld "die Seele retten"

Ivan ist ein "Seagull", eine Möwe. So nennt man die Männer, die Frauen gegen Geld "die Seele retten", wie sie sagen. In den späten 70ern, das zeigt Regisseur Tonislav Hristov zu Beginn seines Dokumentarfilms in historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, schien das ein einigermaßen einträgliches Geschäft gewesen zu sein. Doch nun macht Ivan diese Arbeit schon seit 40 Jahren, der gebräunte Körper hat Falten bekommen, die Haare sind ergraut. Um sein Handy zu bedienen, muss er längst die dunkle Sonnenbrille gegen eine Lesebrille eintauschen.

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Das Ziel: mit einer reichen Frau in Rente gehen

Die Kamera folgt ihm in die übervollen Diskotheken und halbleeren finnischen Karaokebars. Wenn er hier auf einem Barhocker sitzt, sieht er nicht mehr aus wie das potenzielle Objekt weiblicher Begierde, sondern nur noch alt. Und Ivan weiß auch, dass seine Zeiten vorbei sind. Er will sich zu Ruhe setzen. Am besten an der Seite einer Frau mit üppigem Geldbeutel.

Kein Einkommen wegen Corona

Doch die Suche wird jäh unterbrochen, als auch am bulgarischen Sonnenstrand die Schirme zu bleiben. Im Juni 2020 steht Ivan mit Corona-Maske allein an einem leeren Strand. Vom Pandemie-Schock erholt sich die gesamte Tourismusbranche nur langsam und die "Seagulls" als letztes Glied einer Dienstleistungskette haben fast gar kein Einkommen mehr.

Spätestens hier offenbart sich der tragische Kern dieses Films, der zu Beginn noch recht heiter daherkommt. "Warum ich gegen Geld mit Frauen schlafe? Weil ich arm bin", sagt Ivan einmal betrunken und resigniert.

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Bauernhof statt Sexarbeit

Dabei verdient er gerade zu diesem Zeitpunkt gar kein Geld mit Sex. Stattdessen sieht man ihn auf einem Bauernhof aushelfen. Während er Kühe hütet, versucht der ergraute Mann, russische Frauen per Videoanruf zu überzeugen, nach Bulgarien und so zu ihm zu kommen. Doch auch das scheitert. Zumindest mit seinem Sohn, der in Kiew wohnt, will er sich versöhnen. Endlich sein Enkelkind treffen.

Nein, mit den schmissigen ersten zwanzig Minuten dieses Dokumentarfilms hat der Großteil von "The Last Seagull" nichts zu tun. Aber es ist genau dieser Kontrast, der den Film so berührend und stark macht.

Montag, 8. Mai, 21.20 Uhr, Maxim (OmenglU), wieder: 10.5., 18.30 Uhr im City und 12.5., 10.30 Uhr in der HFF

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