DOK.fest München: Wie erreicht man denn alle?

München - Wenn Mittwochabend das 37. DOK.fest München im Deutschen Theater eröffnet, hat der Festivalleiter Daniel Sponsel ein Jahr lang zusammen mit einem Programmerteam und Mitkuratorin Adele Kohut Hunderte von Filmen gesichtet, um Zuschauern ein aktuelles Dokumentarfilmfestival auf hohem Niveau zu bieten.
AZ: Herr Sponsel, Sie eröffnen mit dem Dokumentarfilm "Nawalny", der die Vergiftung des Regimekritikers beleuchtet, seine Behandlung und Genesung in Deutschland zeigt und sogar seinen Flug zurück nach Moskau, wo er sofort verhaftet wurde. Jetzt ist auch noch Krieg in Europa, geführt von dem Mann, den Alexej Nawalny bekämpft: Putin.
DANIEL SPONSEL: Diesen zusätzlich erschütternden Zusammenhang konnte der kanadische Filmemacher Daniel Roher noch nicht ahnen. Roher wird am Mittwoch im Deutschen Theater bei unserer Eröffnungsfeier sein, die gleichzeitig Kinopremiere für den Deutschlandstart von "Nawalny" ist. Der Film ist ein Politthriller, wir sind dabei, wenn Geschichte passiert. Man kann dem Film nur so viel Publikum wie möglich wünschen.

"Ich finde das gesamte Programm hervorragend"
Haben Sie persönliche Lieblinge?
Ich finde natürlich unser gesamtes Programm hervorragend. Mir aber hat - als Radrennfahrer - zum Beispiel "Jonas Deichmann - Das Limit bin nur ich" - sehr gut gefallen, weil da, trotz aller Nähe, immer auch das Rätsel eines Extremsportlers bleibt: Warum tut dieser Mann sich das alles an, der ja von sich behauptet, vor nichts davonzurennen?
Ein Schwerpunkt im DOK.fest-Programm ist Spanien…
Es gibt viele Länder, die sich für einen Fokus anbieten. Spanien ist auch Gastland auf der Buchmesse, es bietet sich also wegen der Synergie und dem größeren Aufmerksamkeitswert besonders an. Spanien ist kein Nachbarland von Deutschland, aber uns in vielem doch vertraut. Bei den Filmen ist mir aber aufgefallen, dass es wiederum ein uns fremdes Land ist, das erst 1975 aus der Franco-Diktatur gekommen ist und daran auch aktuell wieder verstärkt laboriert - inklusive erstarkendem Rechtspopulismus, was ja auch einige unserer spanischen Filme thematisieren.
"Fast alle Filme gibt es online und im Kino zu sehen"
Unter den 124 Filmen rund um die Welt mit Themen von Transgender, Krieg, afrikanischer Musik, Kindheit findet ja fast jeder seinen "special interest".
Das ist unser Ziel: Die Leute sollen ins Kino kommen und etwas, das sie interessiert, groß und in Gemeinschaft erleben. "Dancing Pina" über die Tänzerinnen und Tänzer, die Pina Bauschs Werk heute weitertragen, ist zum Beispiel schon besonders gut gebucht.

Sie haben gesagt: "ins Kino kommen", aber das DOK.fest hat ja auch eine digitale Schiene, ist dual Kino und online.
Aus mehreren Gründen: Wir wussten bei der Planung nicht, wie sich die Corona-Pandemie entwickeln würde. Dann gibt es immer noch Menschen, die ein volles Kino meiden. Und: Man erreicht mit einem dualen Festival eben auch Leute, die nicht im Großraum München wohnen oder nicht aus dem Haus können oder wollen. Aber natürlich sind wir froh, als Festival der Begegnung wieder in den Kinos und an zig anderen Orten auf großer Leinwand zu sein. Manche Filme können wir nicht online zeigen, weil sonst eine vertraglich zugesicherte, zeitliche Auswertungskette - Kino, DVD, Video on demand, TV und Streamingplattform - durcheinanderkommt. Aber rund 90 Prozent der Filme sind bei uns sowohl im Kino als auch online auf der digitalen Leinwand zu sehen.
Alle Menschen zu erreichen ist schwierig
Und was ist dabei eine besonders große Herausforderung?
Wir erreichen ja mit großem Erfolg ein bürgerliches Publikum, das sich für unsere Themen interessiert. Aber wie erreicht man die, deren Geschichte zum Beispiel in "Liebe, D-Mark und Tod" - ein Film über die "Gastarbeiter"-Musik in Deutschland - erzählt wird? Das versuchen wir, es ist aber nicht leicht.
Gerade im Dokumentarfilm stellt sich da ja die Frage der gerade aggressiv geführten Debatte um "kulturelle Aneignung", also: Wer "darf" eigentlich über andere erzählen oder darf das nur ein Betroffener selbst?
Das muss man auch ernst nehmen, und man sollte grundsätzlich nicht "über" andere einen Film machen, sondern "mit" ihnen, was ja nicht heißt, dass man sich als Regisseur vereinnahmen lässt. Und Cem Kaya, der Regisseur von "Liebe, D-Mark und Tod", ist Sohn eines türkischen Migranten.
Was ist im Programm ein Beispiel für einen Film, der einem besonders ans Herz geht?
Der liebevolle Schweizer Film "Dida", in dem der Regisseur, der selbst aus Belgrad kommt, von seiner Mutter erzählt, die er noch mit versorgt. Die Mutter ist ein schräger Vogel, und es prallen da balkanische Lebensweise und Schweizer Rationalität und Planung aufeinander, wenn zum Beispiel das Monatsgeld aus vom Sohn vorbereiteten Kuverts bereits nach sieben Tagen vorwiegend für Hundefutter ausgegeben ist…
Schweizerin präsentiert Film "über tolle Musikszene in Äthiopien"
Eine Hommage ist der Schweizer Regisseurin Heidi Specogna gewidmet, die sich viel mit Afrika und Lateinamerika beschäftigt hat.
Wir zeigen ihren neuen Film "Stand Up My Beauty" über eine tolle Musikszene in Äthiopien - auch ein besonders schöner, aufbauender Film. Und da haben wir uns entschieden, dem Publikum noch viele andere Filme dieser großartigen Regisseurin zu präsentieren.
Daniel Sponsel, Geboren 1964 in Hamburg, studierte der Leiter des Dok.Fest München (seit 2009) Fotografie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und Regie für Dokumentarfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München.