Dok.Fest-Leiter Sponsel: "So viele Einreichungen wie noch nie!"

Am Mittwochabend beginnt das 38. Dok.Fest München. Festivalleiter Daniel Sponsel erklärt, wie man sich unter 130 Filmen Überblick verschafft und für sich Spannendes entdeckt.
von  Adrian Prechtel
Das Dok.Fest beginnt am 3. Mai um 20 Uhr im Deutschen Theater mit dem Film "Etilaat Roz". Der Dokumentarfilm begleitet die gleichnamige Zeitung in Kabul, während die Taliban im August 2021 wieder die Herrschaft übernehmen. Fotos: Dok.Fest
Das Dok.Fest beginnt am 3. Mai um 20 Uhr im Deutschen Theater mit dem Film "Etilaat Roz". Der Dokumentarfilm begleitet die gleichnamige Zeitung in Kabul, während die Taliban im August 2021 wieder die Herrschaft übernehmen. Fotos: Dok.Fest © Dok.Fest

Das 38. Dok.Fest München schaut auf und in die Welt: mit Dokumentarfilmen aus 55 Ländern. In der Coronazeit war es ins Netz gewandert, aber die Münchner Kinos bleiben zentrale Aufführungsorte neben vielen anderen Spielorten - wie der Hochschule für Fernsehen und Film oder dem Deutschen Theater. Zeitversetzt kann man die Filme auch digital deutschlandweit zu Hause sehen.

AZ: Herr Sponsel, wenn man über Jahrzehnte den Dokumentarfilm beobachtet: Was hat sich da wesentlich geändert?
DANIEL SPONSEL: Man spürt den rasanten technischen Fortschritt. Ein Dokumentarfilm unterscheidet sich heute oft nicht mehr von der technischen Qualität eines Spielfilms. Auch dass man heute mit einem Handy Bilder in hoher Qualität aufnehmen kann, hat das ganze natürlich revolutioniert.

Daniel Sponsel,Leiter des Dok.Fests
Daniel Sponsel,Leiter des Dok.Fests © Foto: Dok.Fest

Und inhaltlich?
Noch bis in die 90er-Jahre hatte man ein viel engeres Bild, wie ein Dokumentarfilm zu sein hatte: objektiver, konventioneller. Dokumentarfilmerinnen und Filmer fühlen sich heute freier. Dadurch ist das Ganze spannender und wilder geworden. Heute ist von Essays, reiner Beobachtung über Biografisches bis hin zu Semifiktionalem alles möglich und dabei.

Sponsel: "Als Festivalleiter liebe ich natürlich alle meine Filme"

Wie bekommt man als Zuschauer das Dok.Fest bei der Fülle an Themen und Formen in den Griff?
Das ist wie eine Büchse, auf der draufsteht: "Lauter gute Filme!" Ich rate, einfach das Programm durchzugehen. Und bei den meisten wird es dann so laufen: Man sagt: Ach, das finde ich spannend. Und beim Schmökern im Programm merkt man, dass man zig Filme interessant findet.

Die Initialzündung ist aber erst einmal, sich auf das Programm einzulassen. Ein Beispiel: Wir haben zum ersten Mal einen Film über Automobilsport im Programm, "#Racegirl - Das Comeback der Sophia Flörsch". Ein eher unübliches Thema für ein Kulturfestival, aber es geht um eine Rennfahrerin, um einen harten Unfall und wie sie sich wieder nach oben kämpft. Und dann ist die Frau auch noch Münchnerin. Also gibt es viele Ansätze, sich so einen Film anzuschauen, auch einen gesellschaftskritischen. Aber als Festivalleiter liebe ich natürlich alle meine Filme und hänge an ihnen.

Prospekte liegen bei der Pressekonferenz des DOK.fest München im City Kino.
Prospekte liegen bei der Pressekonferenz des DOK.fest München im City Kino. © Felix Hörhager/dpa

Dann verlassen wir doch gleich noch einmal Ihre Neutralitätspflicht: Welche Filme würden sie noch hervorheben?
Bemerkenswert ist sicher auch der außergewöhnliche Liebesfilm "Für immer". Porträtiert wird über vier Jahre ein Paar, das seit fast 70 Jahren verheiratet ist. Eine fantastische und bewegende Möglichkeit, über sein eigenes Verhalten in der Liebe nachzudenken. Es ist eine echte Liebesgeschichte mit absehbarem Ende. Und ich liebe "Jonny Island" über einen Lehrer an einer Berliner Waldorfschule, der an einer chronischen Lungenkrankheit leidet, sich während Corona nach Schweden zurückziehen muss und von dort aus digital weiter unterrichtet, obwohl die Waldorfschulverwaltung das ablehnt. Das Traurige ist, dass der Protagonist mittlerweile gestorben ist. Den Film zeigen wir als Weltpremiere am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

1.178 Einreichungen für 130 gezeigte Filme

Welche Themen kristallisieren sich heraus?
Es gab so viele Einreichungen wie noch nie: 1.178. Hundert mehr als im vergangenen Jahr. Unsere 15 Programmerinnen und Programmer haben das dann über Monate gesichtet, in der Kernphase sind wir dann acht Personen, die über das Programm entscheiden. Wenn wir jetzt nach einem halben Jahr Sichtungen 130 Filme zeigen, ist alles dabei. Auffällig ist, wie schnell der Krieg gegen die Ukraine eine Rolle spielte. Aber wir fühlen uns nicht verpflichtet, bestimmte Themen zu zeigen. Ein Film muss Qualität haben. "Gut gemeint" reicht jedenfalls nicht.

Wie hat sich denn die Zuschauerzahl entwickelt?
Wir sind ja seit Corona auch digital. Wir haben die Zweispurigkeit beibehalten, weil so auch Leute, die nicht in München und Umgebung wohnen, dabei sein können. Unser Festival ist dadurch eben deutschlandweit. Und was die Präsenz im Kino anbelangt: Events und Festivals – also alles, was besonders ist – läuft wieder gut. Also sind wir optimistisch. Wir erzielen ja auch 20 Prozent unseres Etats von gut anderthalb Millionen Euro durch Kartenverkauf.

Die Stadt München und der Freistaat Bayern sind die Hauptträger des Internationalen Dok.Fests mit insgesamt 855.000 Euro. Wie hält man es da mit der zunehmend geforderten Klimaneutralität?
Das ist ja in unserem eigenen Interesse. Man kann nicht dauernd Menschen für schwierige Themen sensibilisieren und selbst nichts machen. Wir haben seit Jahren ein Nachhaltigkeitskonzept, wir drucken weniger und wenn, dann auf Umweltpapier. Das Catering ist aus der Region. Flüge lassen sich nicht vermeiden, schließlich sind die internationalen Filmschaffenden bei einem Festival so entscheidend wie das Salz in der Suppe. Aber wir holen unsere Gäste mit der S-Bahn vom Flughafen statt mit einem Shuttle und begleiten sie in der MVG. Ein Event, das wir sind, verursacht natürlich trotzdem immer Emissionen.

Worauf freuen Sie sich, wenn die stressige Vorbereitung des Festivals bald vorbei ist?
Wenn ich beim Festival mal keine Termine habe, setze ich mich ins Kino, zum Beispiel in den großen Saal des Deutschen Theaters, wo wieder unser Festivalzentrum ist. Und nach Monaten der Sichtung am Laptop und dem Fernsehbildschirm sehe ich dann die Filme zum ersten Mal da, wo sie am besten und noch mal ganz anders wirken: auf der großen Leinwand. 


Dok.Fest vom 3. bis 14. Mai an den 21 Münchner Spielorten, www.dokfest-muenchen.de, Einzelkarte: 10 Euro, Festivalpass: 75 Euro. Ab 8. Mai auch digital.

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