Die Tragik unterm Nerzmantel

James Erskines Doku "Billie" versucht die große Billie Holiday zu umkreisen und erzählt vom Drama einer schwarzen Künstlerin.
von  Adrian Prechtel
Wenn schon die Männer nichts taugen: Billie Holiday mit Hund Mister 1946 in New York.
Wenn schon die Männer nichts taugen: Billie Holiday mit Hund Mister 1946 in New York. © imago images / Cinema Publishers Collection

Tonaufnahmen gibt es natürlich, schließlich war Billie Holiday die berühmteste Jazzsängerin ihrer Zeit. Aber Filmaufnahmen? Die gibt es naturgemäß weniger von dieser wilden, betörenden Frau, die schon im Sommer 1959 mit nur 44 Jahren starb.

Eine der Kernszenen des Dokumentarfilms "Billie - Legende des Jazz" stammt aber aus einem Livemitschnitt ihres letzten Studiokonzerts in London, wenige Wochen vor ihrem Tod. Und sie singt den schwersten, unheimlichsten und erschütterndsten ihrer Songs: "Stange Fruit" von 1939.

Ein Song klagt an

Sie hatte sich ihn nie verbieten lassen, auch wenn zum Beispiel im New Yorker Café Society Gäste aufstanden und sich bei der Geschäftsführung beschwerten, das sei keine Unterhaltung. Stimmt. Denn der Song von Lewis Allen, einem bekennenden Kommunisten, ist eine gespenstische Anklage gegen den US-Süden und seine perversen, rassistischen Lynchmorde. "Stange Fruit" wurde auch zu einem elegischen Anklagesong der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.

Gezeichnet vom Drogenkonsum

Jetzt sieht man Holiday mit kantig ausgemergeltem Gesicht, strenger, nach hinten gezogener Frisur ohne die ikonische Magnolie im Haar, die Zeilen fast zerkauend, als habe sie die Bitterkeit des Textes auf der Zunge. Das Gesicht gezeichnet vom langjährigen Heroinkonsum - Alkohol, Hasch, Kokain sowieso. Weshalb Holiday auch mehrfach verhaftet und eingesperrt wurde.

Der Regisseur bleibt fair

Aber auch hier bleibt der Film von Regisseur James Erskine fair. Denn einerseits macht er klar, wie scharf das FBI darauf war, den schwarzen Superstar der Drogenkriminalität zu überführen und als spektakulären Fang zu präsentieren, andererseits bekommt man auch kurz Einblick in die Entziehungsbemühungen des Staates.

Eine Katastrophe nach der nächsten

Und überhaupt ist die Tragik des Lebens von Billie Holiday, die sich auch mit Diamantenschmuck und Nerzmantel nicht kaschieren ließ, dass sie psychisch labil von einer Katastrophe in die nächste rutschte. Angefangen von Männern, die sie ausbeuteten, oft mehr Zuhälter als Manager, mit denen sie sich auch schlug.

Obsession einer Journalistin

Regisseur Erskine hatte das Glück, dass es eine Journalistin gab: Laura Lipnack, die 1978 unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Ihre Geschichte wird am Rande miterzählt, denn es ist die Geschichte einer jungen Frau, der in den späten 60er-Jahren das Leben der Billie Holiday zur Obsession wird und die eine nie vollendete Biografie der Legende schreiben will.

Dazu interviewte sie viele Jazzgrößen, Freunde und Bekannte zu Billie Holiday professionell und zugleich intim intensiv. So hört und sieht man Tony Bennett, Charles Mingus oder Count Basie, der sowohl mit Holliday als auch mit der Journalistin liiert war. Immer wieder blitzen im Film fast am Rande kleine Storys auf, die Leben und Zeit von Billie Holiday erhellen.

Keine Grandhotels für Holiday

Auf ihren Touren durch die Südstaaten mit Bigbands wie der von Artie Shaw musste sie in "Schwarzen"-Motels absteigen, während die anderen in Grandhotels logierten. Und der Star des Abends musste den Ballsaal durch die Küche betreten, weil eine Schwarze nicht durch den Haupteingang durfte.

Umgekehrt kam es vor, dass Holiday wegen ihrer auffallend hellen Haut vor schwarzem Publikum sich das Gesicht dunkler schminken sollte - eine besonders bizarre Form des "Blackfacing". Aber immer begegnet man im Film einer Frau, die trotz oder gerade wegen ihrer Herkunft aus dem Prekariat Philadelphias rebellisch blieb und keine Stereotypen bediente.

Sanft und frei von Kitsch

Und mit ihrer unverkennbaren Stimme, gleichzeitig leicht metallisch und sanft, die wie "Louis Armstrongs Trompete" singen und klingen wollte, nie auch nur einen Kitschansatz spüren ließ, ist sie wirklich unsterblich geworden. Der Rock'n'Roll-Spruch vom schnellen Leben und frühem Tod ist hier wahr geworden: tragisch, berührend, groß.

Kino: City, Leopold, Theatiner; R: James Erskine (USA, 98 Min.)

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