"Die Tänzerin": Sinnlich und schonungslos
Der Film „Die Tänzerin“ erzählt das Leben der Loïe Fuller, einer Wegbereiterin des Modern Dance.
Sie war eine Stilikone der Belle Epoque und Pionierin der Tanz- und Lichtkunst: Marie Louise Fuller, die 1862 in Fullersberg, Illinois, zur Welt kam. Stephanie Di Giustos Spielfilm-Debüt „Die Tänzerin“ setzt ihr ein Denkmal.
Im Umfeld ihres Vaters, des Besitzers einer Landwirtschaft und Schenke, lernte Fuller (gespielt von Soko) früh das Vaudeville und Varieté-Theater kennen. Bereits in der Kindheit stachelte sie die Idee eines Künstlerlebens an. Später ging sie mit Buffalo Bill auf Tournee – daher wohl der Einfall der Regisseurin, in die Story mit aufwühlend-heftigen Bildern einer Rodeo-Show einzusteigen. Mancher Tanzenthusiast weiß: Den Skirt Dance, der im Mittleren Westen der USA beliebt ist, entwickelte Fuller auf eigene Art weiter.
Eine schonungslos eigensinnige, androgyn-sinnliche Frau
Lebenssplitter wie diese sind für ein Filmporträt bestens geschaffen. Das hat die französische Filmemacherin Di Giusto geschickt erkannt. „Die Tänzerin“ zeichnet in atmosphärisch dichten, eindrucksvollen Szenen den Werdegang einer schonungslos eigensinnigen, androgyn-sinnlichen Frau nach, die die Spitze einer salonverliebten, kunst- und theateraffinen Gesellschaft erreichte. Die Filmemacherin bedient sich dabei aus Giovanni Listas 1994 erschienener Biografie und würzt diese mit viel Zeitkolorit. Und sie macht deutlich: Fuller folgte ihren kreativen Eingebungen stur – und bis zur körperlichen Erschöpfung.
Nach ersten Erfolgen in den Pariser Folies Bergère eroberte sie unter dem Künstlernamen Loïe Fuller die Kunstszene der Avantgarde. Als Erfinderin effektvoller Schleiertänze wurde sie zur Schlüsselgestalt des Jugendstils: Berühmt ist ihr in zahlreichen Aufnahmen, Bildern und Skulpturen festgehaltener Serpentinentanz.
Und sie war geschäftstüchtig: Sie erhielt mehrere Patente für ihre Inszenierungen mit wallenden, sich in Wellen und Spiralen um den Körper schraubenden Seidenkostümen, für armverlängernde Stabvorrichtungen, ausgeklügelte Beleuchtung, farbige Projektionen, Gleittüren und Spiegelvorrichtungen.
Die Außergewöhnlichkeit dieser Künstlerin faszinieren auf der Leinwand
Ihr Wechsel von New York nach Europa brachte ihrer Karriere den entscheidenden Kick. Mit bahnbrechenden Soloauftritten und eigener Schule ebnete Fuller auch Kolleginnen der neuen, naturalistisch inspirierten und vom Korsett des klassischen Balletts befreiten Modern-Dance-Bewegung den Weg. Beispielhaft hebt der Film hier Isadora Duncan hervor: eine Rolle, die Johnny Depps grazile 17-jährige Tochter Lily-Rose zwar etwas an der Historie vorbei, aber insgesamt gar nicht so schlecht interpretiert.
Aus Loïe Fullers überliefertem Lebenslauf hätte man gewiss auch mit etwas mehr Authentizität einen packenden Film destillieren können. So wird die emanzipierte Visionärin Fuller unnötig stark einem amourös-mehrdeutigen Beziehungsgeflecht ausgesetzt, zu dem auch der aristokratische, drogensüchtige, depressive Dandy Louis gehört – eine rein fiktive Figur (die allerdings von Gaspard Ulliel sehr glaubhaft gespielt wird).
Biographisch gibt es also einige Ungereimtheiten. Doch es fasziniert, mit welch spröder, mal öffentlichkeitsscheuer, mal burschikos-anmutiger Passion Soko die Außergewöhnlichkeit dieser Künstlerin auf die Leinwand bringt. Allein wegen ihr lohnt der Kinobesuch!
Regie: Stephanie Di Giusto (F/B, 112 Min.)
Kinos: ABC, Arena, City, Neues Maxim, Theatiner
- Themen:
- Johnny Depp