Interview

Die Serie "1899": Es geht noch dunkler

Mit "Dark" hatten sie einen Welterfolg. Jetzt erscheint die neue Serie von Jantje Friese und Baran bo Odar: "1899".
Florian Koch |
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In Babelsberg wurde ein gigantisches LED-Studio gebaut, mit dem sich eine Situation wie die auf dem Meer in "1899" fotorealistisch, ohne Außendreh, darstellen lässt.
In Babelsberg wurde ein gigantisches LED-Studio gebaut, mit dem sich eine Situation wie die auf dem Meer in "1899" fotorealistisch, ohne Außendreh, darstellen lässt. © Netflix

Ihre Arbeiten funktionieren wie Puzzles, laden mit einer bildmächtigen Symbolsprache zum (Ent-)Rätseln ein. Weniger mysteriös ist der Ursprung der Zusammenarbeit von Baran bo Odar und Jantje Friese. Sie studierten an der HFF München, kamen sich dort privat wie beruflich näher. Mit dem fast nur auf einem Kreuzfahrtschiff spielenden Mystery-Achtteiler "1899", einem Mix aus der Serie "Lost" und "Titanic", wollen die beiden an ihren Welterfolg mit "Dark" anknüpfen.

AZ: Frau Friese, Herr Odar, in der Serie heißt es "Wir sollten keine Träume haben". Wann aber haben Sie angefangen von diesem Projekt zu träumen?
BARAN BO ODAR: Die Idee für "1899" kursierte schon sehr lange bei uns, sogar noch vor "Dark". Bei der Recherche sind wir auf ein Foto gestoßen, auf dem ein Mann in blutendem Unterhemd mit einem Hammer auf einem alten Schiff steht und in Richtung Kamera schaut. Das hat bei uns das Kopfkino in Gang angesetzt.

Abstraktes Setting mit Bezug zur Gegenwart

In welche Richtung entwickelten sie die Geschichte?
ODAR: Wir waren als überzeugte Europäer sehr bewegt von der Flüchtlingskrise und dem Rechtsruck in Europa. Das hat uns trotz der damit verbundenen Ängste den Impuls gegeben, unbedingt eine Geschichte zu entwickeln. Die sollte allerdings nicht in der Jetztzeit spielen, sondern wie schon bei Genre-Großmeistern à la Fritz Lang so verpackt werden, dass die Zuschauer am Ende anfangen, die Bezüge zur Gegenwart zu reflektieren.

"Wir gehen immer von der Psychologie aus"

Die Figuren in "1899" sind Getriebene, ob auf der Flucht vor sich selbst oder einer dunklen Vergangenheit. Da steht der Action- und Fantasyaspekt nicht so stark im Vordergrund.
JANTJE FRIESE: Egal wie groß die Produktionen oder die Themen sind, unser Ansatz Geschichten zu erzählen geht immer von der Psychologie der Figuren aus. In der Recherche über die Zeit der Jahrhundertwende stießen wir auf Flüchtlingsgeschichten, die uns sehr nahe gingen. Denn selbst wenn man mit voller Überzeugung sein Herkunftsland verlässt, hat man immer sein Päckchen zu tragen. Und diese Traumata, die sich darin verstecken und vor denen man vielleicht auch flieht, wird man so schnell auch nicht mehr los.

ODAR: Für mich war diese Reise persönlich. Meine Familie war schon immer eine Auswandererfamilie, musste aus vielen Ländern fliehen und lebt auf der ganzen Welt verteilt. Ich erinnere mich an alte Fotos meines Urgroßvaters, wo es hieß: Guck mal, hier musste die Familie aus Russland fliehen, um irgendwo eine neue Heimat zu finden. Mein Onkel ist ganz alleine ohne großen Koffer nach Amerika gegangen, als er 17 war. Diese Geschichte habe ich selbst erst im Alter von 17 Jahren gehört. Das prägt einen und für mich war es immer unvorstellbar zu verstehen, was für einen Druck man empfinden muss, um seine Heimat, sein Nest zu verlassen, um woanders neu anzufangen.

"Eine Band wie Nirvana macht auch keinen Jazz"

Druck ist ein gutes Stichwort für Ihr Nachfolgeprojekt von "Dark". Warum wählen Sie nach dem Erfolg wieder eine rätselhafte Mysterygeschichte? Da muss man sich zwangsläufig dem Vergleich stellen.
FRIESE: Da kamen viele Sachen zusammen. Zum einen gab es die enorme Erwartungshaltung der Fans von "Dark". Wir wollten aber von Anfang an kein Spinoff, also keinen Ableger machen, sondern eine komplett neue und eigene Welt kreieren. Auf der anderen Seite ist dieses "Mindfuck"-Genre aber auch in unserer DNA. Ich hoffe deshalb, dass die Fans von "Dark" die Stimmung und den Reiz des Puzzles wiederfinden, sich aber auf das Neue einlassen können.
ODAR: Man kann "Dark" und "1899" damit vergleichen, dass wir die gleichen Instrumente benutzen. Und eine Band wie, sagen wir mal, Nirvana muss jetzt aber auch nicht zwanghaft ein Jazzalbum herausbringen.

Wie teilen sie sich als Showrunner die Arbeit auf?
FRIESE: Grundsätzlich ist es so, dass wir bereits seit 20 Jahren wahnsinnig eng zusammenarbeiten. Jeder hat dabei auch seine Bereiche, in denen er den gestalterischen Prozess führt, jedoch nie gegen den Willen des anderen agiert. Grundsätzlich ist es so, dass wir uns anfangs die Ideen zuschmeißen, ich mit dem Schreiben beginne und dann in den Schneideraum gehe, während Bo am Set ist. Ich kann ihm dann vom Schneideraum aus gleich Feedback auf die jeweiligen Szenen geben, die er am Tag dreht. Das ist ein sehr kollaborativer Prozess.

Neues LED-Studio in Babelsberg

Eigens für die Produktion wurde in Babelsberg ein gigantisches LED-Studio gebaut, mit dem sich eine Situation wie die auf dem Meer in "1899" fotorealistisch, ohne Außendreh, darstellen lässt. Ist diese neue Technik wirklich ein so großer Gewinn?
FRIESE: Für uns ist das tatsächlich eine Technik, die die Zukunft des Filmemachens verändern kann und die wir auch weiter benutzen werden. Aber sie ist in der Handhabe kompliziert, auch weil sie noch in der Pionierphase steckt. Als Filmemacher muss man daher viel Zeit hineinstecken, um die Arbeit auf der virtuellen Stage zu erlernen. Und das gilt dann auch für alle anderen Gewerke wie die Kamera. Uns hat bei der Vorbereitung geholfen, dass wir bereits in den Anfängen unserer Beziehung viele Videospiele gespielt haben. Denn der Mechanismus dieses neuen Studios lässt sich als eine Verbindung aus der Gaming- und der Filmwelt begreifen. Da hatten wir sofort einen Zugang.

Nach "Dark" jetzt "1899"

Hat der Erfolg von "Dark" auch ihre Position beim Streaming-Riesen Netflix gestärkt?
ODAR: Wir haben auf jeden Fall das Gefühl, dass dort ein großes Vertrauen in unsere Fähigkeiten herrscht. Gerade im Bezug auf das Erzählen von Mysterygeschichten. Das bedeutet für uns als Filmemacher sicher ein Mehr an kreativer Freiheit, heißt aber nicht, dass sich die Netflix-Macher nicht mehr in unsere Arbeit einmischen. Grund dafür ist aber auch, dass "1899" allein von der Produktion, von den Beteiligten und dem Budget viel aufwendiger ist als "Dark".

Sie haben sich an der HFF beim Studium kennengelernt, gelten heute für viele junge Filmemacherinnen als Vorbilder. Wie blicken Sie auf diese Zeit und den heutigen Filmnachwuchs?
FRIESE: Filmemachen ist ein Prozess und man kommt nicht aus der Filmhochschule und ist gleich Showrunner. Eher muss man wie wir durch eine ziemlich lange Lernphase gehen. Klar sieht man gerade den Erfolg, aber die Anfangsjahre waren wirklich zäh. Mein Tipp heißt hier Durchhalten. Auch mal Fehler machen und in Kauf nehmen, dass man manches in den Sand setzt. Ganz wichtig ist es dann aber auch, wieder aufzustehen, weiterzumachen, die Energie nicht zu verlieren.

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Und was macht einen guten Filmemacher oder eine gute Filmemacherin noch aus?
FRIESE: Herauszufinden wer man ist und was man eigentlich zu erzählen hat. Wenn man zu analytisch an den Prozess des Filmemachens herangeht, mit der Frage im Hinterkopf, was braucht denn jetzt das Publikum, ist das nicht immer zielführend. Bei jungen Filmstudenten fällt mir im Vergleich zu unserer Generation auf, dass einige etwas den Mut verloren haben, sich nicht so viel trauen und auch nicht anecken wollen. Diesen Konformismus kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Ich wünsche mir junge Rebellen, die Dinge neu erfinden und auch bereit sind, einen Misserfolg zu riskieren. 

Ab heute auf Netflix.

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