Die Möglichkeit von Wärme und Würde
Sie hatten es sich versprochen: Ich lass’ dich nicht allein! Wir bleiben zusammen, hier! Das war vor 50 Jahren.
Jetzt ist die Tochter (Isabelle Huppert) kurz zu Besuch in der großen, mit Büchern zugestellten Altbauwohnung, in der sich seit Jahrzehnten wenig geändert hat. Sie ist nicht richtig hart, aber pragmatisch. Jetzt, wo die Mutter zum Pflegefall wird, glaubt sie nicht, dass ihr Vater das alles allein hinkriegt und schlägt das Pflegeheim vor. Man spürt, dass auch sie sich ihre eigene Verantwortung vom Hals schaffen will. Aber er bleibt stur.
Die großen Menschheitsthemen Liebe und Tod ganz intim verhandelt
Jean Louis-Trintignant spielt den Ehemann, wie er sanft, verzweifelt und doch bestimmt das Leben mit seiner Frau (Emmanuelle Riva) auch nach dem Schlaganfall und der folgenden Abwärtsspirale weiterlebt bis zum gewaltsam erlösenden Tod. Dabei gelingt dem äußerst klaren Film auch eine Poesie, manchmal sogar feiner Witz: „Was würdest du sagen, wenn niemand zu deinem Begräbnis kommt?”, fragt er. „Wahrscheinlich nichts”, antwortet sie lächelnd.
Michael Haneke (von „Funny Games” bis zu „Das weiße Band”), oft ein kühl-gnadenloser Darsteller von Gewalt-Strukturen, gewinnt diesmal mit „Liebe” die Herzen der Zuschauer. Das AZ-Interview mit Michael Haneke Auch ohne Eskalation behält sein Film die gleiche Intensität. Die großen Menschheitsthemen Liebe und Tod aber werden hier ganz konkret, intim in einem Kammerspiel verhandelt. Der Film verlässt nur wenige Male die Pariser Wohnung – beim Einkauf, beim Konzertbesuch. Haneke zeigt das Sterben in sehr nüchternen und unsentimentalen Bildern, gewinnt aber genau daraus eine enorme Kraft.
Vor diesem Film braucht man keine Angst haben
Wie ändern sich Gefühle, wenn ein Mensch, mit dem man so lange zusammenlebte, eingespielt war, den man liebt, sich immer mehr verwirrt, entfernt, wegtaucht, er nicht mehr der Mensch ist, den man kannte?
Auch wer das Thema scheut, sollte und kann ruhig in diesen Film gehen, weil – bei aller Dramatik und Schonungslosigkleit – ein Gefühl von Wärme und Würde über dem gesamten Film liegt.
Kino: Arri, City, Solln, Rio, Münchner Freiheit sowie im Theatiner (fr.OmdtU)
B&R: Michael Haneke
(Frankreich, 119 Min.)
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