Die gefährlich befreiende Energie

Ein Dokumentarfilm mit Publikumsdiskussion:"Der nackte König - 18 Fragmente über die Revolution" als Stream, dann Gespräch aus dem Kino Ebersberg.
von  Margret Köhler
1. Februar 1979: Warten auf die Ankunft von Ruhollah Musawi Chomeini, dem iranischen Ajatollah, der bis zu seinem Tod 1989 Staatspräsident wurde.
1. Februar 1979: Warten auf die Ankunft von Ruhollah Musawi Chomeini, dem iranischen Ajatollah, der bis zu seinem Tod 1989 Staatspräsident wurde. © Fotos: Koenig / W-Film

Revolutionen haben etwas Faszinierendes. Am Anfang stehen Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Situation, Sehnsucht nach Umbruch und Neuanfang und die "Schönheit und das Lebensgefühl des Unbestimmten".

Der Filmessay "Der nackte König - 18 Fragmente über die Revolution" handelt von zwei 3.000 Kilometer voneinander entfernten Revolutionen: 1979 kehrte Ayatollah Chomeini triumphierend in den Iran zurück, das Volk jubelte, der Schah, der "König der Könige", war außer Landes gejagt. In Polen wiederum versetzten 1980 Arbeiter nach Preiserhöhungen mit Massenstreiks die Politiker unter Druck, 600 Betriebe standen still.

Wenn eine Revolution zu Worthülsen wird, ist sie gescheitert

Der Schweizer Andreas Hoessli, damals mit einem Doktorandenstipendium in Warschau, folgt aus sehr persönlicher Perspektive den Spuren dieser Revolutionen, will herausfinden, welche Träume die Menschen verfolgten, wie diese zerschlagen wurden. Er unternimmt den Versuch, die Anziehungskraft des Volksaufstandes zu erklären, "in diese Geschichten einzutauchen - von der Gegenwart aus". Er zeigt aktuelle Bilder, springt dabei etwas hastig von einem Land ins andere.

Inspirieren ließ er sich durch den polnischen Reporter und Journalisten Ryszard Kapuscinski und dessen Buch "Schah-in Schah". Er zitiert aus dessen Texten, wühlt sich durch Archivmaterial. Bruno Ganz führt als Erzähler durch dieses zeitgeschichtliche Tableau.

Ist die Revolte wirklich "ein Abenteuer des Herzens", wie es mal heißt? Das Resultat könnte ernüchternder nicht sein. Chomeini, der kurz nach seiner Rückkehr die Islamische Republik ausrief, räumte Linke oder säkulare Nationalisten, die ihm nicht bedingungslos folgten, aus dem Weg. In Polen wiederum herrschte Euphorie über das Abkommen von Gdansk in dem das Recht auf freie Gewerkschaften, Freilassung politischer Gefangener und Abschaffung der Zensur verbrieft wurde. Es war die Geburtsstunde der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc unter dem charismatischen Lech Walesa, die ein Drittel der Bevölkerung hinter sich versammelte. Nach 15 Monaten schlugen Partei- und Staatsmacht zurück, verhängten den Kriegszustand, die Gewerkschaft Solidarnosc wurde verboten, Zehntausende landeten im Gefängnis.

Ein spannendes und auch widersprüchliches Mosaik

Hoessli spricht mit Tätern, die sich aus der Verantwortung stehlen und die Vergangenheit beschönigen, mit Geheimdienstlern und Revolutionswächtern, mit damals engagierten Akteuren, Intellektuellen, Opfern und ehemalige Idealisten.

Aus dem Gesamtkomplex der Aussagen entsteht ein spannendes und auch widersprüchliches Mosaik. Widersprüchlich wie junge Soldaten bei der Feier zum Jahrestag der iranischen Revolution auf Befehl "Tod Amerika, Tod Israel" brüllen und dann einer ganz naiv sagt "Amerika ist mein große Liebe". Die Vizepräsidentin des Mullah-Staates, einst als Studentin unter den Stürmern und Geiselnehmern in der US-Botschaft, fragt: "Können wir Revolutionäre bleiben und gleichzeitig kritisieren, was in jenen Zeiten geschah?". Wenn Werte der Revolution zu Worthülsen mutieren, ist der Kampf gescheitert. Nicht zum ersten Mal frisst die Revolution ihre Kinder.

Und doch gibt es immer wieder Menschen, die ihre Angst überwinden und sich gegen eine scheinbar ewige Macht erheben.


Der Live-Stream der Online-Premiere, 10. Februar, ab 20.15 ist kostenfrei über die Website koenig.wfilm.de ohne Anmeldung zu sehen. Im Anschluss findet ein Filmgespräch mit Regisseur Andreas Hoessli statt. Gäste sind der Historiker Frank Bösch, Autor des Sachbuchs "Zeitenwende 79" und Leiter des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Ab Donnerstag kann der Film für 7,99 Euro gestreamt werden shop.koenig.wfilm.de Kinos werden an den Einnahmen der online-Auswertung beteiligt

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.