Die AZ-Filmkritik zum neuen Kinofilm „I, Daniel Blake“.

Schon bei der Weltpremiere in Cannes wurde es im Riesenkino des Palais du Festival erst totenstill, dann mussten sich einige leise schneuzen, so aufwühlend war alles: Man hatte miterlebt, wie die alleinerziehende, nette, einfache Mutter Katie (Hayley Squires) versucht, die Fassade aufrecht zu erhalten. Sie selber hatte nichts zu mittag gegessen, um wenigstens den Kindern noch was vorsetzen zu können. Jetzt, in einer Art Wohltätigkeits-Supermarkt mit kostenloser Lebensmittelausgabe, bricht sie zusammen, weinend.
„I, Daniel Blake“ erzählt von einem älteren Bauschreiner, der nach einem leichten Schlaganfall wieder arbeiten will. Daniel (Dave Johns) ist Witwer, wohnt in einer kleinen Wohnung und will sich wieder nützlich fühlen. Dabei scheitert er aber an einer zynischen Krankenkassen- und Jobcenter-Bürokratie. Er begegnet Katie und ihren Kindern und versucht, ihr zu helfen, ihr Halt zu geben, Mut zu machen.
Der 80-jährige Ken Loach hat für „I, Daniel Blake“ die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Dabei ist der Film ganz klassisch erzählt. Porträtiert sind Menschen, die kurz vor dem Abgleiten ins Prekariat stehen. Aber sie bemühen sich, niemandem zur Last zu fallen und ihren Stolz zu wahren. „I, Daniel Blake“ ist eine Abrechnung mit einem Wirtschafts- und Sozialsystem, dass Menschen als Bittsteller behandelt und ihnen die Würde nimmt.
Ken Loach zeigt das hart, aber durchaus auch sentimental, denn er liebt diese Menschen, glaubt an sie. Und genau dieser klar erzählte Realismus ist so bewegend, weil er Wut und Reflexion erregt: die Vorstufe zur politischen Tat. „I, Daniel Blake“ ist dabei kein Agitations- oder Propagandafilm. Denn Ken Loachs Kunst ist es, alles durch eine berührende, packende Geschichte zu erzählen, die uns die Augen öffnet und sensibilisiert.
R: Ken Loach (GB, 101 Min.)
Kino: City, Münchner Freiheit, Monopol, Theatiner (OmU), Museum (OV)