"Der traumhafte Weg": Hör mal: Moos!

Kenneth (Thorbjörn Björnsson) hat in der einen Hand seine Gitarre, an der anderen seine Freundin Theres (Miriam Jakob). Das ist ein passendes Bild für die zwei Dinge, die im Leben des Engländers eine Rolle spielen: Er ist Straßenmusiker in Griechenland und lebt mit seiner deutschen Freundin von der Hand in den Mund.
Wir schreiben die 80er Jahre. Die Bilder zu Beginn von "Der traumhafte Weg" sind klar und von anmutiger Schönheit. Das verträumte Paar strahlt Frieden aus, ihre Umgebung wird lebendig, man spürt den Wind, das Land, den Himmel. Doch so klar deutbar sind die wenigsten Szenen in Angela Schanelecs Film. Schanelec ist eine Vertreterin der Berliner Schule. Das heißt: lange Bildeinstellungen, reduzierte Ausstattung, wenige Worte. Das kann zu großartigen Kinoerlebnissen führen, wenn man eine starke Geschichte zu erzählen hat.
Im Prinzip passiert dies auch hier. Attraktive, oft unbewegte Bilder in langen Einstellungen lassen die Schauspieler wie in einer Theaterinszenierung auftreten. Man hat Zeit, sich während ihres Schweigens ihre Gesichter, ihre Erscheinung anzuschauen. Kenneth hat rote Haare, er trägt eine Strickjacke und hat schmutzige Fingernägel. Eines Nachmittags ruft er zu Hause an und erfährt, dass seine Mutter verunglückt ist. Er erleidet einen Schwächeanfall.
Schnitt. Wir befinden uns in Berlin. Das Paar spricht über die Jacke, die Theres trägt, nicht etwa über den Zustand der Mutter. Der erste Dialog läuft ins Leere, bis sie in der Wohnung ihrer Mutter ankommen. Warum der Rückflug nach Deutschland ging und nicht nach England, wo die Mutter im Sterben liegt, bleibt unklar. Die Regisseurin gibt Anhaltspunkte und lässt viel Raum für eigene Überlegungen.
Theres scheint mit der bevorstehenden Trennung rational umzugehen. Kenneth wird berühmt, und sie kann in der Zeitung lesen, wo er gerade ist. Weniger ist mehr, im Kino sollte nicht jede Emotion ausdiskutiert und alles Gedankengut vorgekaut werden. Doch gekoppelt mit einer Bilderwelt, die auch derart reduziert ist wie hier, wird der Zuschauer herausgefordert, insbesondere der, der gerne Warum-Fragen stellt. Keine wird beantwortet.
Wer sich diesen Film ansieht, ist auf sich gestellt, auf seine Fantasie und den Film, den diese aus den Fragmenten zusammensetzt. Die Vertreterin der Berliner Schule erlebte bei der Uraufführung im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno gespaltene Reaktionen. Freilich ist es erlaubt, alles in den Film hineinzuinterpretieren. Von der Zerbrechlichkeit der Liebe, der Unfähigkeit, sich auszudrücken, oder einem ganz allgemeinen Scheitern im Leben.
Es ist natürlich die Entscheidung der Regisseurin, sich auf ihre manchmal flach atmenden Bilder zu verlassen. Künstlerisch ist das Projekt ansprechend, inhaltlich ist manche Verzweiflung im Kinosaal zu erwarten. Da wird in Echtzeit jeder Waldweg zu Ende gegangen und am Moos gelauscht, aber keiner sagt einem, wie der letzte Break der Geschichte zu erklären ist. Richtig, den muss man sich ja selber ausdenken.
Kino: Isabella
R: Angela Schanelec (D, 81 Min.)