"Der Sommer mit Anaïs": Zärtliche Ode an die Weiblichkeit

Das hört sich nicht nur kompliziert an, sondern ist es auch. Das laszive Energiebündel Anaïs stürmt ohne Plan auf Kante durchs Leben, stellt keine Fragen und sucht keine Antworten, folgt intuitiv ihrer Spontaneität. Nachdem die chaotische Langzeitstudentin, die sich gerne wie ein Teenie verhält und chronisch pleite ist, nicht mehr weiß, ob ihr Verlobter sie liebt oder nicht, trifft sie auf den nicht gerade super-sexy Verleger Daniel (Denis Podalydès), der ihr Vater sein könnte.
Der ist sofort von ihr angetan, bis zur heißen Affäre dauert es nicht lange. Dann sieht sie das Foto seiner Lebensgefährtin Emilie - den schmalen Rücken, den schlanken Hals, die Haare. Und fühlt sich ausgerechnet zu dieser Fremden hingezogen, einer erfolgreichen Schriftstellerin. Regisseurin, Autorin und Schauspielerin
"Der Sommer mit Anaïs": Erinnerungen an Eric Rohmer
Charline Bourgeois-Tacquet erzählt in ihrem Regiedebüt vom erotischen Verlangen zwischen zwei Frauen und der Anziehungskraft ihrer Körper, von einer unbekannten Lust, an die sie sich herantasten, um sie dann voll zu genießen.
Vom ersten Moment an fasziniert die unberechenbare 30-Jährige durch ihre Begeisterung und Vitalität, durch ihre Wortkaskaden, durch ihre Lebendigkeit. Die Dramödie pflegt einen leichten Ton und erinnert in manchen Passagen an die filmische Handschrift des unvergesslichen Eric Rohmer. Von der Pariser Hektik geht es in die entspannte Bretagne zu einem verführerischen Pas de deux, in dem sich beide Frauen verlieren, couragiert Ja zum Abenteuer sagen, das den Alltag vergessen lässt und sie auf eine Reise zur persönlichen Freiheit katapultiert.
Vibrierender Sommerfilm in leuchtenden Bildern
Die Amour fou zwischen junger und reiferer Frau folgt nicht angestrengt dem modischen Trend zur lesbischen Liebe, sondern entwickelt intensive Gefühle und eine große Glaubwürdigkeit, ohne krampfhaft die Fahne der Diversität vor sich herzuschwenken. Getragen wird diese charmante Komödie und feinsinnige Lektion in Sachen Leidenschaft von den Schauspielerinnen Anaïs Demoustier als aufgekratzte Dynamikerin mit großem Ego, die ihr Literaturstudium nicht zu Ende bringt, und Valéria Bruni-Tedeschi als Intellektuelle und Objekt der Begierde.
Selten hat man Bruni-Tedeschi so locker und so sinnlich gesehen wie in dieser zärtlichen Ode an die Weiblichkeit und die Kraft der Erotik, die über beide wie ein Tsunami hinwegfegt. Ein verspielter und vibrierender Sommerfilm in leuchtenden Bildern und mit beschwingter Musik über das Begehren, die Kunst der Liebe und des Lebens, pure Wonne. Das macht ihn voller Situationskomik auch herzerfrischend im positiven Sinne leicht konsumierbar. Carpe Diem!
Regie: Charline Bourgeois-Tacquet (Frankreich, 98 Minuten) Kinos: ABC Kinos, City Atelier Kino, Theatiner Film, Breitwand Gauting