Der neue Kinofilm Vielmachglas in der AZ-Filmkritik.
AZ-Filmkritik: Auch Jella Haase kann da nichts mehr retten: "Vielmachglas" ist ein vorhersehbares Klischeefilmchen.
Den schweren Ledersessel schleppt Marleen (Jella Haase) durch die halbe Stadt vom Trödelladen nach Hause, bevor sie ächzend in ihrem Zimmer in ihn hineinsinkt. Die ersten Filmminuten von Florian Ross’ "Vielmachglas" sind ein bisschen lustig, aber vor allem auch metaphorisch gemeint. Marleen trägt schwer an ihrem jungen Leben und hat in ihrer Familie den Platz der Nesthockerin eingenommen. Vater (Uwe Ochsenknecht) und Mutter (Juliane Köhler) machen sich Sorgen um die zögerliche Studienabbrecherin.
Ganz anders geraten ist da der große Bruder Erik (Matthias Schweighöfer), der schon fast die ganze Welt bereist hat und auf dem Weg in die Antarktis für eine Stippvisite zuhause vorbeischaut. Er kann die Schnalzlaute von entfernten Eingeborenen imitieren und schenkt der kleinen Schwester ein Einmachglas. Jedes Mal, wenn sie sich etwas getraut hat, soll sie – so der paternalistische Bruderauftrag – das Erlebte aufschreiben und den Zettel ins Einmachglas tun, das damit ein Vielmachglas sei.
Matthias Schweighöfer mit Rasta-Locken
Wenig später ist Erik tot. Das ist ehrlich gesagt eine gute Nachricht. Matthias Schweighöfer mit Rasta-Locken, der unentwegt Lebensweisheiten ausspuckt – das hätte man keine Minute länger ausgehalten. Für Marleen ist das natürlich weniger schön. Während die Eltern die Beerdigung vorbereiten, nimmt die traumatisierte Tochter Reißaus.
Mit nur acht Euro und dem Weckglas in der Tasche soll es nach Hamburg gehen, wo sie die Schiffspassage des Bruders in die Antarktis einlösen will. Und schon beginnt ein typisch deutsches Roadmovie, in dem sich kleine Abenteuer aneinanderreihen, welche die Heldin sukzessive reifen lassen: Per Anhalter mit einem LKW, Schlafen unter einem Wespennest, Schlägerei in einer ländlichen Karaoke-Bar, eine Nacht im Knast. In einem alten Mercedes-Bus tuckert auch noch ein hübscher, junger Mann vorbei, der der Kriselnden verständnisvoll zur Seite steht.
Viele behauptete Gefühle und ausgelutschte Erfahrungsklischees
Und während wir im Geiste unser eigenes Behältnis mit all den Vorhersehbarkeiten dieses ausgesprochen übersichtlichen Drehbuches füllen, hat auch die liebe Marleen ihr Vielmachglas voll gemacht, das Verlusttrauma bewältigt und fährt mit ihrem motorisierten Märchenprinzen in die Welt hinaus.
Man reibt sich nach 90 Filmminuten erstaunt die Augen angesichts der geballten Einfältigkeit dieser filmischen Schnelltherapie. So viele behauptete Gefühle und ausgelutschte Erfahrungsklischees haben sich auch in einem deutschen Film schon lange nicht mehr auf der Leinwand versammelt. Die Banalität der Story und der schleppenden Episodeninszenierung kann selbst die durchaus sympathische Performance von Jella Haase nicht einmal notdürftig übertünchen.
Kino: Cadilac, Cinemaxx, Mathäser, Royal-Filmpalast, R: Florian Ross (D, 90 Min.)
- Themen:
- Uwe Ochsenknecht