Der neue Kinofilm „Die Hände meiner Mutter“ zum Thema Kindesmissbrauch

Hartes Thema, extrem guter Film: „Die Hände meiner Mutter“.
Sexueller Kindesmissbrauch durch die Mutter? Ein Tabu. Das passt nicht ins Bild von bedingungsloser Mutterliebe, obwohl sich die Zahl der weiblichen Täter auf 15 Prozent beläuft – Dunkelziffer nicht mitgerechnet.
Geschwiegen hat auch Markus, der mit Frau und vierjährigem Sohn gut gelaunt eine Familienfeier besucht, den Geburtstag seines Vaters auf einem Schiff. Als die Oma mit dem Jungen zur Toilette geht und der mit einer kleinen Schnittwunde am Kopf zurückkommt, rastet er aus, wird plötzlich von düsteren Kindheitserinnerungen überrollt. Trotz Therapie und emotionaler Unterstützung durch seine Frau zweifelt der 40-Jährige an sich, verliert den Boden unter den Füßen.
Es reicht eben nicht, sich selbst mit lang Verdrängtem zu konfrontieren, es gibt nur eins: einen Befreiungsschlag in der Familie gegen alle, die nichts wissen wollten und weg schauten. Keine Lügen, Heimlichkeiten und Scham mehr.
Nicht so radikal wie Thomas Vinterbergs Klassiker „Das Fest“, aber genauso konsequent, wirft Florian Eichinger einen Blick in seelische Abgründe und folgt den Wunden der Vergangenheit. Dabei verharmlost er nicht, noch bläst er die Ereignisse zu einem spektakulären Skandal auf.
Er nähert sich dem Schicksal des Protagonisten mit psychologischem Gespür, wendet bei den Rückblenden in den Missbrauchsszenen einen anfänglich irritierenden Verfremdungstrick an: Hauptdarsteller Andreas Döhler spielt sich selbst als Kind. Die Kamera hält dabei Distanz, man ahnt nur, was passiert.
Um nicht das typische Opfer-Klischee zu bedienen, verfügt die Figur trotz Traumata über eine männliche Ausstrahlung. „Die Hände meiner Mutter“ ist der letzte Teil von Eichingers filmischer Trilogie nach „Bergfest“ und „Nordstrand“ über Gewalt im Familienkreis. In allen drei Filmen sind die Hauptfiguren männlich: eine bewusste Umkehrung des klassischen Rollenverhaltens, nach dem Männer sich nur ungern mit ihren psychischen Verletzungen auseinandersetzen.
Härte, Heftigkeit und Intensität der Auseinandersetzung mit verdrängten Gefühlen verschlagen beim Zusehen fast den Atem. Döhler, beim Filmfest München als Bester Darsteller ausgezeichnet, trägt in seiner Zerrissenheit zwischen Trauer, Zorn und Schmerz das Drama auf seinen Schultern. An seiner Seite ist eine überzeugende Jessica Schwarz.
Kino: Neues Arena
Regie: Florian Eichinger (D, 106 Min.)