DDR-Flucht im Heißluftballon: Michael Bully Herbig im Interview zu Ballon

Michael Bully Herbig kann auch Thriller: In dem spannenden "Ballon" erzählt er von einer irren DDR-Flucht.
Dominik Petzold |
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Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und sein Sohn Frank (Jonas Holdenrieder) kurz vor dem Abheben mit dem selbstgebauten Ballon. Sie haben keine Ahnung, was sie über den Wolken erwartet.
Studiocanal GmbH Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und sein Sohn Frank (Jonas Holdenrieder) kurz vor dem Abheben mit dem selbstgebauten Ballon. Sie haben keine Ahnung, was sie über den Wolken erwartet.

Michael Bully Herbig bringt seinen ersten Thriller ins Kino: Er erzählt darin die wahre Geschichte der Familien Strelzyk und Wetzel, die 1979 mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR flohen.

AZ: Herr Herbig, eine Komödie zu drehen ist bekanntermaßen besonders schwierig, es gilt als die Königsdisziplin. War der Thriller "Ballon" ein Kinderspiel für Sie?
MICHAEL BULLY HERBIG: Ich habe nie behauptet, dass Komödie die Königsdisziplin ist, auch wenn das oft gesagt wird. "Ballon" hat sich in jedem Fall von Anfang an sehr geschmeidig angefühlt. Ich bin jeden Tag mit großer Freude zum Set gefahren. Es war wie eine Frischzellenkur für mich, ein anderes Genre zu bedienen, auf andere Dinge zu achten. Worauf beispielsweise? Bei einer Komödie ist man permanent damit beschäftigt, dass die Pointen funktionieren, beim Dreh und erst recht im Schneideraum. Man feilt an ihnen mit großer Ernsthaftigkeit, es geht immer ums richtige Timing. Bei "Ballon" lag die Priorität woanders: bei der Genauigkeit. Es ging darum, diese Welt, diese Beklemmung, diese Paranoia genau zu treffen. Und ein Thriller hat ein ganz anderes Timing. Das hat mir unheimlich Spaß gemacht.

Und es war jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Film zu machen. Wieso?
Das hat auch mit Lebenserfahrung zu tun, vor zwanzig Jahren hätte ich vieles gar nicht richtig nachvollziehen können. Ich habe einen achtjährigen Sohn, das ist ganz wichtig, wenn man einen Film über zwei Familien macht, bei denen die Eltern nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder riskieren. Und ich habe ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt, so dass es mir egal war, was die Leute sagen. Als wir vor sechs, sieben Jahren mit der Entwicklung begannen, haben nicht wenige gesagt: Was macht er denn jetzt für einen Quatsch?

Mussten Sie für diesen Film etwas neu lernen?
Meine größte Angst war, dass Leute den Film sehen und sagen: Aha, so stellt sich der lustige Bayer die DDR vor. Ich habe deshalb viel zugehört. Und sechs Jahre lang ploppte für mich plötzlich überall die DDR auf – im Taxi, im Biergarten, im Hotel, im Urlaub, bei meiner Zahnärztin. Die erzählte mir, sie hätten auch drei mal versucht, aus der DDR zu fliehen. Ich habe mir all diese Geschichten sehr ausführlich erzählen lassen. Und ich glaube, es hat dem Film gut getan, dass ihn jemand gemacht hat, der vorher nichts mit der DDR zu tun hatte, sich alles erarbeitet hat und einen Blick von außen auf das System werfen konnte. Zugleich haben wir auf jedes Detail geachtet. Wir haben den alten, miesen Tapetenkleber benutzt, damit sich die Tapeten wie damals von der Wand wölben. Und wir haben Schauspieler und Teammitglieder gesucht, die die DDR noch kannten und das einbringen konnten. Ich habe dem Tonmann gesagt: Wenn Dir ein Wort fremd vorkommt, sag Bescheid – dann drehen wir das gleich nochmal.

Michael Herbig: "Großer Hitchcock-Fan"

War von Anfang an klar, dass Sie die Geschichte als Thriller erzählen wollen?
Ja. Mein Wunsch, einen Thriller zu machen, ist nicht neu, ich bin ein großer Hitchcock-Fan. Da ist man natürlich immer auf der Suche nach Stoffen. Als Teenager hatte ich die Hollywood- Verfilmung der Geschichte gesehen, "Mit dem Wind nach Westen" von 1981. Ich fand es unfassbar, dass zwei Familien ein solches Risiko eingehen, um in Freiheit leben zu können – was für mich ja eine Selbstverständlichkeit war. Die Geschichte ploppte alle paar Jahre mal wieder auf, und irgendwann dachte ich: Das ist es doch! Das könnte ein richtig spannender, unterhaltsamer Film werden. Meine größte Angst ist ja, die Leute im Kino zu langweilen. 

In dem Film wollen zwei Familien mit einem selbstgebauten Ballon in den Westen fliehen. Konnten sie das proben?
Nein. Sie wussten auch nicht, wie hoch der Ballon steigen würde und haben nicht mit 2.000 Metern gerechnet – bei minus acht Grad. Ich habe beide Ballons nachbauen lassen und dachte: Das ist doch nicht zu glauben. Die Metallplattformen waren 0,8 Millimeter dick. Es ist schwer vorstellbar, mit seinen Kindern in so ein windiges Teil zu steigen, ohne es getestet zu haben.

Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und sein Sohn Frank (Jonas Holdenrieder) kurz vor dem Abheben mit dem selbstgebauten Ballon. Sie haben keine Ahnung, was sie über den Wolken erwartet.
Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und sein Sohn Frank (Jonas Holdenrieder) kurz vor dem Abheben mit dem selbstgebauten Ballon. Sie haben keine Ahnung, was sie über den Wolken erwartet. © Studiocanal GmbH

Waren die beiden Familien in die Produktion eingebunden?
Ja. Als ich die Strelzyks um ein Gespräch gebeten habe, waren sie überrascht, dass da dieser Komiker aus Bayern kommt. Sie haben sich gefragt, ob der sie vielleicht auf den Arm nehmen will. Ich bin dann nach Pößneck gefahren, und es hat mich erstaunt, dass die Familie nach der Wende wieder dorthin gezogen ist, in ihr altes Haus. Schon das zeigte, dass sie ihre Heimat nicht gern verlassen hat. Wir haben dann zwei Tage lang geredet. Dasselbe Gespräch habe ich auch mit der Familie Wetzel geführt. Ich habe beiden Beraterverträge angeboten, da mir wichtig war, nahe an der Geschichte zu bleiben.

Aber Sie sind sicher nicht ohne fiktionale Elemente ausgekommen.
Klar, man muss alles dem Thriller-Genre unterordnen. Es gab insgesamt drei Ballon-Versuche, den ersten haben wir weggelassen. Am Ende haben wir alles etwas zugespitzt mit den Helikoptern, die den Ballon am Himmel suchen, aber das entspricht halt den heutigen Sehgewohnheiten.

Bully: "Sie wussten nicht auf welcher Seite der Grenze sie gelandet sind"

Sind die beiden Familien in Wahrheit mit ihrem Ballon unbehelligt davongeschwebt?
Sie wurden schon entdeckt, aber man dachte, dass das auf dem Radar eine Wolke ist. Aber es war nicht minder lebensgefährlich für sie. Sie waren auf 2.000 Meter Höhe und wussten am Ende nicht, auf welcher Seite der Grenze sie gelandet sind.

Wollte die Familie Strelzyk tatsächlich wie im Film Kontakt zur US-Botschaft in Berlin aufnehmen?
Nein, zur chinesischen Botschaft. Die Chinesen waren zwar auch kommunistisch, hatten aber damals eine Entspannungspolitik eingeleitet. Aber das im Film zu erzählen, wäre sehr schwierig gewesen. Wir haben deshalb die Botschaften getauscht.

Der Junge im Film will nicht weg aus der DDR, er sagt sinngemäß: "Was ist, wenn es uns im Westen gar nicht gefällt?" Ein authentischer Satz?
Nein, aber das wäre meine erste Frage gewesen. Ich konnte mich da gut hineinversetzen. Ich habe mich erinnert, wie es für mich mit elf war. Meine alleinerziehende Mutter und ich mussten immer mal wieder die Wohnung wechseln. Ich musste immer wieder in eine neue Klasse. Das kann man nicht vergleichen, aber für mich war das immer ein Neuanfang.

Wie erging es den Familien nach ihrer Flucht im Westen?
Beide Familien hatten auch im Westen ihre Probleme, es war nicht auf einmal alles gut. Sie hatten noch jahrelang Albträume. Außerdem hat die Stasi ihnen weiter nachgestellt. Sie haben sogar einen Maulwurf in Peter Strelzyks Elektroladen gesetzt, der darauf angesetzt war, dass der Laden pleite geht. Man hat ihnen vom Osten aus das Leben schwer gemacht, denn für das System war es wie ein Kinnhaken, dass diese Flucht gelungen ist. Die Familien haben das System weltweit vorgeführt.

Was machen Sie als nächstes?
Ich kann mir alles vorstellen – außer eine Komödie. Ich habe sehr große Lust am Genre. Ich bin auf den Geschmack gekommen. Hoffentlich gehen viele Leute ins Kino, das würde mir die Möglichkeit eröffnen, mit anderen Genres weiterzumachen. Ich habe die große Hoffnung, dass in Deutschland mal ein bisschen was anderes gedreht wird als nur Komödien.


"Ballon": Die AZ-Kritik

Die Strelzyks wollen raus aus der DDR. Wieso genau, erfährt der Zuschauer nicht. Man weiß noch wenig über diese Familie, da steigt sie schon auf in ihrem selbstgebauten Ballon, schwebt auf 2000 Meter Höhe. Dann geht die Flamme bei minus acht Grad aus, es geht abwärts, und nach ein paar Filmminuten entscheiden Wind und Zufall, ob die Strelzyks überleben.

Herbig hat aus der wahren Geschichte der Ballon-Flucht zweier Familien einen atemlosen Thriller gemacht, der fast von der ersten Minute an spannend ist. Sein cleverer Kniff: Er beleuchtet weder die Vorgeschichte der Figuren noch ihre Motivation.

Dass diese DDR fliehenswert ist, wird schon noch plausibel, wenn sich die Stasi auf die Suche nach den Ballonbauern macht. Denn die Strelzyks (Friedrich Mücke, Karoline Schuch) überleben zwar die Landung, verpassen dabei aber die Grenze um wenige Meter. Und haben schließlich nur zwei Optionen: auffliegen oder noch mal fliegen.

Während der Polizeiapparat heiß läuft, bauen sie einen neuen Heißluftballon, gemeinsam mit den Wetzels (David Kross, Alicia von Rittberg). Die dauerdramatische Filmmusik hätte es gar nicht gebraucht: Herbigs erster Thriller hebt schnell ab, hält den Zuschauer gefangen wie ein enger Ballon – und die Geschichte der Paare, die mit ihren Kindern in einem windigen Ballon in die Lüfte steigen, hat im Wortsinn: Fallhöhe.

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