"Das Unheil" von 1972: Kino der Provokation
München - Peter Fleischmann und ich sind immer verschiedene Wege gegangen, aber letztlich hatten wir mit unseren Filmen immer ein Ziel: Wir wollten ein Kino der Provokation, den Finger auf die Wunden der Zeit legen, der Gesellschaft die Maske vom Gesicht reißen, um ihr zu zeigen, was sie nicht sehen will. Peter hat mit Filmen wie "Jagdszenen aus Niederbayern", "Das Unheil" oder "Dorotheas Rache" Skandal gemacht und ich mit Filmen wie "Der Fan", "Die Story" oder "Das Gold der Liebe".
"Das Unheil" – das war Provokation, auch formal. "Aber der Ernst, mit dem sie mich damals zerrissen haben, hat mich unglaublich verblüfft. Auch diese Einhelligkeit. Es ging eigentlich um die Form", erzählt mir Fleischmann: "Es gab zwei Ausgangspunkte für ,Das Unheil’: Als sich in Paris auf der Filmhochschule war, habe ich ,Cinéma total’ von René Barjavel gelesen. Der sagte, dass der Film seine endgültige Form noch nicht gefunden hat. Es gab die Theorie: Die Dreiaktigkeit des normalen Films sei aufgebaut wie der männliche Geschlechtsakt: Alles strebt mit voller Kraft dem Höhepunkt entgegen und dann ist der Film zu Ende. Wir wollten dagegen jetzt einen Film machen, der aufgebaut ist wie Musik. Diese Dreiaktigkeit wollten wir beenden. Der andere Aspekt des Films beruhte auf meinem Vorgängerfilm ,Die Jagdszenen’ und seinem internationalen Erfolg. Man steht unter Erwartungsdruck. Aber ich habe mir ein Experiment erlaubt. Ich wusste nicht, dass ich bestraft und verlacht werde wie jemand, der das Rad neu erfinden will. Mit einem Film, der eben nicht die übliche Dramaturgie hat, sondern dessen Weg das Ziel ist. Ich ging aus von einem Jungen, der durchs Abitur durchgefallen ist und es wieder versucht, aber es ist klar, dass er’s nicht schaffen wird. Im Laufe des Films wird klar, dass nicht nur er krank ist, sondern auch seine Familie, die ganze Stadt, die Welt, die konsequent auf das Unheil zugeht."
Fleischmann wird heute ins Filmmuseum kommen und sich mit den Zuschauern seinen Film heute noch einmal ansehen: "Ich bin jetzt neugierig auf die Reaktion, auch weil München ja der Ort des Geschehens ist. Aber ich habe keine Angst mehr, weil ich gerade von einer Testvorführung in Berlin kommen, wo der Film als sehr aktuell empfunden worden ist." Ich selbst kenne dieses Gefühl. Auch mein Film "Der Fan" kommt nach 35 Jahren wieder ins Kino und hat hymnische Kritiken. Damals wurde er vernichtet wie auch Fleischmanns "Das Unheil". Der wurde trotz vorheriger Cannes-Einladung schnell abgesetzt, aber jetzt frisch restauriert.
Wie lebt Fleischmann mit dem Wechselbad zwischen "Kreuzigt ihn!" und "Lobet ihn!"? "Der Vorwurf des Zynismus hat mich ein Leben lang verfolgt", meint Peter: "Bei der "Unheil"-Premiere in München musste die Vorstellung unterbrochen werden: Es gab ein Johlen, Hohngelächter und Zwischenrufe. Ich konnte kaum noch über die Straße. Alle haben über mich gelacht! Die Besessenheit, mit der die ganze Kritik über mich hergefallen ist, hat mir zu schaffen gemacht. Der Verleiher hat den Film schon nach ein paar Tagen aus dem Kino genommen. Es gab schon immer Filme, die schnell Anerkennung finden und auch schnell altern und umgekehrt."
Filme, wie wir sie gedreht haben, sind heute Mangelware, da sind Peter und ich uns einig. Es dominieren Kompromisse und Ängste, die Angst vor Radikalität, vor dem Film als Kunst, vor Redakteuren und Gremien. Wir hatten den Mut, Grenzen zu überschreiten und zu experimentieren.
Was ist passiert? "Ich glaube, dass Provokationen kaum noch möglich sind, weil die Leute schon auf der Filmhochschule dazu motiviert werden, etwas Verwertbares zu machen, also das Gegenteil von Experimenten", meint Fleischmann: "Alles ist glatt und gleitet: Zäpfchen-Kultur. Dazu kommt das Gefühl, am Ende einer Epoche zu leben. Ein Filmhistoriker in Paris hat gesagt, dass Film antizyklisch ist. Wenn es einem Land schlecht geht, dann geht’s dem Film gut und umgekehrt. Und wenn es einem gut geht, hat man Angst, etwas zu verlieren. Damals hat es uns nicht ausgemacht, wenn es Ärger gab. Es gab schon immer die Leute, die engagiert waren und die Leute, die Karriere machen wollten."
Wenn ich mich erinnere: Die Ängste von heute waren für uns kein Thema. Es hat uns Freude, wenn es Ärger gab, wenn wir Kontroversen auslösten, wenn es Verbote gab. Wir wollten stören und versuchten, die Welt zu bewegen. Mein "Fan" stand jahrelang auf dem Index und auch mein US-Film "Hollywood Fling" hat keine Freigabe. Das gleiche Schicksal erwartet jetzt die Filme meines "Römischen Zyklus’".
Was hat Dich, Peter, motiviert, einen Film zu drehen? "Eines meiner entscheidensten Erlebnisse war die Begegnung mit dem französischen Comic. Der Comic hat vom Film gelernt und jetzt musste der Film vom Comic lernen. Ich Freude mich auch, dass es ein Umdenken im Dokumentarfilm gibt. Beim Film geht es um Einstellungen und beim "Unheil" drehten wir Einstellungen, um die banale Realität zu komprimieren. Es war der Versuch, auch innerhalb einer Einstellung die Zeiten zu wechseln. Das läuft auf eine Art von Surrealismus hinaus, deshalb hat man mir beim ,Unheil’ vorgeworfen, ich würde übertreiben. Aber e gibt so etwas wie die Internationale des Irrsinns. Und es können die verrücktesten Dinge in einer deutschen Kleinstadt passieren und auch im brasilianischen Dschungel. Es geht um die Bereitschaft, die Welt zu sehen und empfänglich zu sein für den Irrsinn, für das Surreale, für das Unbegreifliche und für das Komische, das auch immer sehr nahe dem Tod ist. Ich habe heute keine Lust mehr mitzurennen, denn ich habe nie einen Film gemacht, den ich nicht machen wollte."
Peter Fleischmann wird in einem Monat 80 Jahre jung. Es ist erfrischend, mit ihm zu reden. Ich hoffe auf das offene Publikum und dass "Das Unheil" diesmal kein Malheur wird.
Montag, 20 Uhr und Samstag, 1. Juli, 15 Uhr, Filmmuseum
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