„Das unbekannte Mädchen“: Ein ewiger Klingelton
Wer die Filme der belgischen Regiebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne sieht, bekommt immer besonders bewegende, packende Geschichten. Nicht etwa weil sie „bigger than Life“ sind, sondern – im Gegenteil – weil sie so nah am Menschen und Leben sind, dass man meint, live etwas psychologisch und sozial Wahres mitzuerleben.
Diesmal haben die Arthaus-Lieblinge sogar publikumsfreundlich ihre sonstigen Sozialgeschichten im Prekariatsmilieu verlassen und bauen einen echten Krimi auf: Eine junge Ärztin hat gerade eine Praxis übernommen. Eines Abends klingelt es an der Praxistür, aber sie verbietet ihrem Medizin-Praktikanten, auf den Türöffner zu drücken: „Das hat kurz Zeit! Ich rede mit dir!“, sagt sie, um Autorität zu vermitteln. Aber die sehr junge, schwarze Frau vor der Tür wird nicht noch einmal klingeln. Sie wird am Morgen ganz in der Nähe tot aufgefunden: Sie hatte panisch um Hilfe geklingelt. Es ist der Moment, in dem eine verständliche, harmlose Entscheidung zum unbeabsichtigten, schrecklichen Fehler wird.
Aus dieser Ausgangslage der Schuldgefühle der jungen Ärztin entwickelt „Das unbekannte Mädchen“ eine psychosoziale Studie über das ärmere Milieu, Zuhälterei, das hier funktionierende soziale System, aber auch über Schuld und Sühne. Und man lernt das Wirken von fixen Ideen, Workaholismus und idealistischem Totaleinsatz kennen. Man fiebert, fühlt, denkt mit und schaut auch genau dahin, wo es nicht mehr nur nett ist. So können Filme eine echte, spannende Erweiterung unserer Lebenseinsichten und Erfahrung schaffen, ohne dröge pädagogisch oder gewollt aufklärerisch zu sein.
Kino: Neues Maxim, Studio Isabella, Theatiner Film
R: Jean-Pierre und Luc Dardenne (B/F, 105 Min.)
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