Das Ende der fröhlichen Spiele: Ein Spielfilm über Olympia 1972

Mit seinem dritten Kinofilm "September 5 - The Day Terror Went Live" geht Tim Fehlbaum einen neuen Weg. Er erzählt vom 10. Wettkampftag der Olympischen Spiele 1972 in München, der in einer Tragödie endete. Palästinensische Terroristen nahmen elf Mitglieder des israelischen Teams als Geiseln und zerstörten den Traum von den "heiteren Spielen".
Die Sportjournalisten des US-Senders ABC wurden plötzlich zu politischen Berichterstattern und sendeten erstmals Terror "live". Millionen Zuschauer verfolgten das schreckliche Ereignis weltweit, ein Wendepunkt in der Geschichte der Medien und gewagter Balanceakt. Für den Regisseur ist die damalige Suche nach einem moralischen Kompass auch in der heutigen Medienlandschaft aktuell. Am Montag werden die "Golden Globes" in Los Angeles verliehen, der Film des Schweizers ist als "Bestes Drama" nominiert.
AZ: Herr Fehlbaum, nach dystopischen Szenarien in "Tides" oder dem Sci-Fi-Thriller "Hell" überraschen Sie mit einem Film, der in die Vergangenheit blickt. Was hat Sie an dem Thema getriggert?
TIM FEHLBAUM: Wir wollten über diesen Tag, den 5. September 1972, einen Film drehen und stürzten uns in eine Riesenrecherche. Wichtig war, diesem Thema mit dem größtmöglichen Respekt zu begegnen und möglichst viel herauszufinden, bevor wir überhaupt anfingen zu schreiben. Das ursprüngliche Konzept sah vor, die Geschichte aus mehreren Perspektiven zu erzählen. Aber nach all den Informationen haben wir uns für die Rolle der Medien entschieden. Initialzündung war ein sehr intensives Gespräch mit Geoff Mason, die von John Magaro gespielte Figur des jungen TV-Producers.

Geoff Mason war damals erst 28 Jahre.
Was er und sein ganzes Team erlebt und durchgemacht haben in dieser 22-stündigen Non-Stop-Berichterstattung, war faszinierend und brachte uns dazu, den Film rein aus dieser Perspektive zu erzählen. Es ist doch der Wahnsinn: Da ist eine Truppe von Sportexperten, die plötzlich von der Berichterstattung über die Olympischen Spiele in den Modus der Krisen- und Terrorberichterstattung wechseln mussten. Das erklärt vielleicht auch den unschuldigen Blick auf das tragische Ereignis, was auch über sie hereinbrach. Für Mason war das der wichtigste Tag seiner Karriere: der Tag, an den er sich von allen Ereignissen am stärksten erinnert.
"September 5" ist auch ein Film über die Macht der Bilder und journalistische Verantwortung, wie über die Schwierigkeit der Krisenberichterstattung.
Damals wie heute ist das Dilemma das Gleiche: Man muss moralisch, ethisch und professionell abwägen, was geht überhaupt, wie weit darf man gehen? Soll man live zeigen, wie jemand erschossen wird? Inwieweit macht man sich zum Komplizen der Täter?

Die Frage nach der Moral lässt sich auch 50 Jahre nach dem Olympia-Attentat nicht klar beantworten.
Die Entscheidungen mussten rasend schnell fallen. Moderator Jim McKay bemühte sich um eine Balance zwischen Professionalität und Empathie. Heute laufen im Medienzirkus sieben Tage die Woche rund um die Uhr Breaking News. Wie kann man deren Wahrheitsgehalt unter Zeit- und Konkurrenzdruck kontrollieren? Politische oder gesellschaftliche Relevanz gegen Sensationslust abwägen? Jeder Sender prescht vor, um der erste zu sein. News dienen heute nicht mehr nur der Information, sondern gelten auch als Entertainment. Wo verläuft da die Linie?
Mit der analogen Technik von 1972 ging alles langsamer als mit der digitalen von heute.
Wir wollten dem Publikum die Technik von damals näher bringen und wie sie sich verändert hat. Heute hat jeder im Prinzip einen Fernseher und eine Kamera in der Hosentasche und kann schnell alles aufnehmen. Das Live-Streamen von Ereignissen weltweit gehört zu unserem digitalen Alltag. 1972 musste man noch einen Slot auf dem Satelliten buchen. Es war die erste Olympiade, die weltweit live gesendet wurde.

Für einen heute 20-Jährigen sind solche Bedingungen wahrscheinlich unvorstellbar.
Wir haben das ganze TV-Studio nachgebaut. Es war nicht einfach, die Geräte zu finden, die auch noch funktionieren sollten. Ich wollte keine Attrappen. Dadurch, dass die Schauspieler vor der Kamera tatsächlich mit diesen Geräten umgehen konnten, spürten sie auch die Auswirkungen. Alles sollte sich echt anfühlen. Wenn sie einen Knopf drückten, sahen sie richtige Bilder auf dem Monitor und nicht nur grüne Displays. Bei einem Film über Medien ist Genauigkeit Pflicht. Das Material auf die 14 Monitore zu spielen, die parallel liefen, war super kompliziert wie auch der Mix von dokumentarischem und fiktivem Material. Das alles zu steuern, entpuppte sich als hochkomplexe Angelegenheit und das Komplizierteste an dem ganzen Dreh.
War es nach den großen Bildern in Ihren ersten Filmen nicht schwierig, in diesem fast klaustrophobischen Studio zu drehen?
Das war eine Herausforderung, einen Film zu erzählen, der an einer Location spielt mit den Monitoren als Fenster zur Außenwelt. Wir wollten uns diesen klaustrophobischen Effekt zunutze machen. Ich mag Filme, die eine gewisse Kraft aus der Begrenzung von Zeit und Ort beziehen. Während der Vorbereitung haben wir Filme wie "Das Boot" von Wolfgang Petersen studiert, wo eine Gruppe auf sehr engem dunklen Raum zusammen gepfercht war und das, was an der Oberfläche geschieht, nur durch das Teleskop und die Signale der Sonargeräte erfährt.

Was reizt Sie mehr: die starke visuelle Handschrift bei "Hell" und "Tides" oder das cinematografische Kammerspiel von "September 5"?
Pauschalisieren geht nicht. Ich fand dieses Fokussieren auf ein Ensemble im engen Raum, die tolle Zusammenarbeit mit Co-Autor Moritz Binder bei der Recherche, den speziellen Blickwinkel und die Bewahrung von Authentizität sehr fesselnd.
Sie sind zehn Jahre nach dem Massaker geboren und in der Zeit aufgewachsen, in der ein neuer Terrorismus die Welt in Atem hielt. Hat Sie der Dilettantismus von Polizei und Politik nicht gewundert?
Aus heutiger Sicht waren die Akteure naiv, aber es gab damals keine Spezialeinheit. Teilweise sollten Streifenpolizisten die Wohnung stürmen. Erst als Reaktion auf den Anschlag wurde noch im gleichen September die GSG 9, eine Spezialeinheit der Bundespolizei zur Bekämpfung von Schwerst- und Organisierter Kriminalität sowie Terrorismus gegründet.
In einer Szene sehen die Terroristen im Fernsehen, wie Polizisten sich der Wohnung verdeckt nähern. Wieso kam niemand auf die Idee, den Strom abzusperren?
Es ist nicht erwiesen, was der Grund für den Abbruch der Polizeiaktion war. Wahrscheinlich realisierten die Verantwortlichen die mangelnde Vorbereitung und Ausrüstung. Von Geoff Mason wissen wir, dass die deutsche Polizei ins Studio kam und darum bat oder forderte, die Kameras abzustellen.

Wie haben Sie Sean Penn als einen der Produzenten ins Boot geholt?
Durch die Fokussierung auf ABC Sports wurde ein weitgehend englischsprachiger Film aus einer amerikanischen Perspektive konzipiert. Und durch unseren Kameramann Markus Förderer kam der Kontakt zu Sean Penns Produktionsfirma. Bei einem ersten Treffen haben wir das Projekt gepitcht. Dann lasen Penns Mitarbeiter die erste Fassung und schlugen einige Verbesserungen vor - und stiegen ein. Allein der Name Sean Penn bewirkt in Amerika Aufmerksamkeit und erleichterte auch das Casting.
Leonie Benesch ist als Übersetzerin die einzige deutsche Hauptdarstellerin.
Eine zentrale Rolle! Sie verkörpert verschiedene Figuren, ist aber in der Realität verankert und steht für ein neues, demokratisches Deutschland. Das wollte mit diesen Olympischen Spielen auch einen Gegenpol zu den Spielen in Berlin von 1936 setzen und sich in einem neuen Image präsentieren. Deshalb verzichtete man auf bewaffnete Sicherheitsleute. Die palästinensischen Terroristen zerstörten diesen Traum.

Was möchten Sie mit Ihrem Film erreichen?
Durch den sehr klaren Blickwinkel auf diesen Tag anregen, über den eigenen Medienkonsum nachzudenken, aber auch über die Auswirkung und Komplexität von Krisenberichterstattung.
Sie haben lange das "Spielchen in Los Angeles" mitgemacht, wie Sie mal sagten, aber dann festgestellt, dass Sie nicht gemacht sind "für das Amerikanische, wo man sich immer verkaufen muss". Dieser Film ist ein Türöffner für den US-Markt. Bleiben Sie Europa treu?
Das ist immer abhängig vom Stoff. Die Filmlandschaft hat sich in den letzten 10, 15 Jahren sehr verändert. Die Grenzen verschwimmen zunehmend. Es gibt nicht mehr den typischen Hollywoodfilm, viele US-Produktionen werden bei uns gedreht. Ich habe es sehr genossen, "September 5" aus Europa heraus zu machen. Hier habe ich mit den Produzenten Thomas Wöbke und Philipp Trauer und einem Großteil des Teams meine Filmfamilie und will in dieser Konstellation auch weiter arbeiten.
"September 5" startet am 9. Januar in den deutschen Kinos