Kritik

"Cyrano" im Kino: Ein überbordend barockes Meisterwerk

Joe Wright gibt "Cyrano" mit Peter Dinklage einen fantastischen, modernen und menschlichen Drive.
von  Adrian Prechtel
Peter Dinklage als Cyrano, Haley Bennett als Roxanne und Kelvin Harrison Jr. als Christian in Joe Wrights "Cyrano".
Peter Dinklage als Cyrano, Haley Bennett als Roxanne und Kelvin Harrison Jr. als Christian in Joe Wrights "Cyrano". © Peter Mountain / MGM

"Kinder brauchen Liebe, Erwachsene Geld", sagt ganz unromantisch die Zofe zu Roxanne (Haley Bennett). Denn die will zwar von ihrem reichen Gönner ins Theater eingeladen werden, hält ihn aber hin, was eine Heirat anbelangt. Und schon kutschiert einen der Film von Joe Wright in der Kulisse der sizilianischen Barockstadt Noto durch einen dichten Menschenwirbel ins Theater - vorbei an Händlern, Dirnen, Gauklern und Schaulustigen, die in ihrer physiognomischen Expressivität von Fellini für die Commedia dell'Arte hätten gecastet sein können.

Und wie in einem kitschigen Liebesroman wird Haley Bennett als Roxanne durch das Kutschenfenster schauen und sich auf den ersten Blick in den jungen Rekruten, Christian (Kelvin Harrison Jr.) verlieben. Der wiederum weiß bald nicht mehr, wie er sich der intelligenten Schönen würdig nähern soll und findet im Offizier Cyrano (Peter Dinklage) einen kultivierten Gönner, der ihm die formvollendeten Liebesbriefe schreibt.

Cyrano: Ein mitreißendes, rührendes, zeitgemäß heutiges Meisterwerk

Schon die Grundstory "Cyrano de Bergerac" war 1897 als neoromantisches Versstück fürs Theater aus der Zeit gefallen. Dann blendete es auch noch zweihundert Jahre zurück in die Musketier-Zeit von Ludwig XIV. Und was macht der Brite Joe Wright, der schon vor zehn Jahren mit "Anna Karenina" zeigte, wie man dynamisch pompös und amüsant einen Klassiker spannend für das intelligente Unterhaltungskino adaptiert? Er macht aus "Cyrano" auch noch ein Genre, das für Kitsch und große Gefühle steht: ein Musical (Musik: Aaron und Bryce Dessner). Wer jetzt die Augen verdreht, übersieht ein mitreißendes, rührendes, zeitgemäß heutiges Meisterwerk - und das sogar ohne lange Nase.

Vieles ist aufregend anders in diesem Dreieck aus dem "Cyrano"-Stück von Edmond Rostand, in das Shakespeares "Romeo und Julia" hineinspielt und "The Beauty and the Beast".

In einer Schlüsselszene steht unter Roxannes Balkon versteckt hinter einem Torbogen nächtlich eben nicht nur ein geistig etwas simpel gestrickter Möchtegern-Romeo, sondern eben auch Cyrano, der ihm die romantischen Sätze soufflieren muss, aber selbst - heimlich und unglücklich - in Roxanne verliebt ist.

Dass Wright in der Szenerie hier auch noch eine Straßentreppe hinauf zu Roxanne zur Verfügung hat, nutzt er, um die vielen, hier verhandelten Ebenen aus Liebe, Männerfreundschaft, Galanterie, Eifersucht und Enttäuschung ausspielen zu können.

Bei alledem gehen in "Cyrano" Handlung und Gesang derart organisch ineinander über, dass ihre Kombination keine Sekunde Befremden hervorruft oder gar die Handlung stockt. Statt Einzelnummer-Ohrwürmern werden eher Gefühlszustände gesanglich vertieft. Sie werden auch in der hervorragenden deutschen Synchronisation original Englisch stehengelassen, weil übersetzte Lieder selten und schon gar nicht lippensynchron gelingen. So aber fügt sich alles in die insgesamt wunderbar musikalische Montage des Films ein.


Überhaupt muss man sich "Cyrano" ästhetisch vorstellen wie ein überbordendes, farbintensives, buntes barockes Gesamtkunstwerk, in dem Theatralik, Illusionsarchitektur, Überwältigungsbilder und Action arabesk verwoben sind. Auch Tanzen, Fechten, Handeln, Lieben und Singen gehen elegant ineinander über, sogar die Kamera tanzt und ficht mit und steigt bis in den Himmel: alles ein einziger Rausch, der es an Witz, Geist und Brillanz mit Buz Luhrmanns bahnbrechendem "Moulin Rouge"-Musical (2001) aufnehmen kann.

Über alledem vergisst Joe Wright auch nicht, dass die Grundgeschichte eigentlich tragisch ist: eine unerfüllte Liebe aus Angst, der physische Makel stünde der Liebe entgegen. In Zeiten möglicher Schönheits-OPs hat Wright dabei eine andere Version als eine große Nase gewählt: Kleinwüchsigkeit - was Peter Dinklage, von dessen Frau Erica Schmidt das Drehbuch stammt, nicht nur verkörpert. Vielmehr macht er auch die Seelenqualen deutlich, die Angst davor, körperlich zurückgewiesen zu werden. In seiner Angst wagt er sich über sein Verhältnis als Roxannes bester Freund bis fast zum Schluss nicht hinaus.

Echte Gefühle bei höchstmöglicher Kinokunst

Und auch dieses "fast" führt nicht zu einem reinen Happy End, denn dazwischen ist in "Cyrano" noch ein trister, brutaler, sinnlos erscheinender Krieg gesetzt, in dem Cyrano und Christian auf ein Himmelfahrtskommando geschickt werden in den kalten schneegrauen Pyrenäen - bis ein tödlicher feindlicher Schuss ihre Freundschaft beendet.

So wirken in diesem ganz besonderem Unterhaltungsdrama - bei höchstmöglicher Kinokunst und hoher Künstlichkeit der Geschichte - dennoch gleichzeitig alle Gefühle echt und psychologische Fragen natürlich. Wenn viele es einfach ausprobieren, könnte "Cyrano" vom Teenie bis zum Musicalverächter und Bildungsbürgertum wirklich alle begeistern.


Kino: Arri, Royal sowie Museum (OV)  R: Joe Wright (GB/USA/Can/I, 124 Min.)

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