"Churchill": Gejagt von Dämonen

Jonathan Teplitzky konzentriert sich in "Churchill"auf die Tage vor dem D-Day und zeigt großes Schauspielkino.
Er führte ein XXL-Leben: Winston Churchill, britischer Premier, wurde auf vier Kontinenten im militärischen Einsatz für das Empire beschossen, schrieb mehr Worte als William Shakespeare und Charles Dickens zusammen (und erhielt den Literaturnobelpreis) und gilt in BBC-Umfragen stets als größter Engländer aller Zeiten. Wie bekommt man so ein Leben für das Kino in den Griff? Nur durch radikale Reduktion.
Regisseur Jonathan Teplitzky konzentriert sich in seinem grandiosen Porträt "Churchill" auf wenige, aber entscheidende Tage. Im Juni 1944 steht die Landung der Alliierten an der französischen Atlantikküste vor dem Planungsende. Aber ausgerechnet der Tatmensch Churchill ist nicht überzeugt. In seinem Kopf spuken die Bilder seiner größten Niederlage: Als Erster Lord der Admiralität war er 1915 für das verheerende Landungsmanöver bei Gallipoli verantwortlich. Der Kampf gegen die Truppen des Osmanischen Reichs kostete fast 100.000 Soldaten des Empires das Leben und endete mit dem kompletten Rückzug.
Der Kraftmensch Churchill hat seit Beginn des Zweiten Weltkriegs rund 180.000 oft lebensgefährliche Reisekilometer zurückgelegt, im Juni 1944 ist der fast 70-Jährige nur noch ein Schatten seiner selbst. Brian Cox spielt Churchill als einen körperlich angeschlagenen, aber starrköpfigen Mann der Vergangenheit: Längst ist der Politiker nur noch Juniorpartner der Amerikaner, da helfen auch seine Jähzorn- Anfälle nicht, sowie die – historisch belegte – Dummheit, zu fordern, gemeinsam mit König Georg VI. die Landung der Alliierten von einem nahen Schiff aus beobachten zu dürfen. US-General Eisenhower (John Slattery) wird ihm diesen Zahn ziehen.
Jonathan Teplitzkys Film kommt ohne eine einzige Kriegsszene aus, stattdessen gibt es große Schauspielkunst zu bewundern. Miranda Richardson zeigt als Churchills Ehefrau Clementine resolute Leidensfähigkeit an der Seite des Unbeherrschten. Und auch Richard Durden muss als Feldmarschall und Militärberater Jan Smuts seinen Premier immer wieder mit viel Fingerspitzengefühl aus Depression oder persönlicher Narretei in die Kriegswirklichkeit zurückholen. Das hat bei aller Dramatik auch urkomische Seiten.
Für deutsche Kinobesucher mag der Film bisweilen wie die Demontage eines Denkmals wirken, die Größe Churchills aber setzt der Brite Teplitzky schlichtweg voraus. Und immer wieder blitzt das wahre Talent des sich längst zur Marke stilisiert habenden Staatsmannes hervor, wenn Churchill akribisch an den Reden feilt. Churchills wichtigste Waffe war das Wort. Und so setzt auch Teplitzky auf intellektuell funkelnde Dialoge.
R: J. Teplitzky (GB, 106 Min.)
K: Arri (OmU), City (Omu), Museum-Lichtspiele (OV), Münchner Freiheit