Chilenischer Bilderrausch

Der chilenische Kultregisseur Alejandro Jodorowsky zeigt seine Anfänge: „Poesía sin fin“
Ein Dichter steht auf einem riesigen Stuhl und rezitiert, in einem Café wird ein toter Kellner aufgebahrt, ein maskierter Mob mit Hakenkreuzfahnen und Besen zieht durch die Straßen: endlich ist wieder Jodorowsky-Zeit!
Seit den 60ern ist Alejandro Jodorowsky einer der bekanntesten chilenischen Avantgarde-Filmer. Selten hat jemand so betörende und verstörende Parallelwelten geschaffen wie er in „El Topo“ und „Der heilige Berg“. Sein neues Werk „Poesía sin fin“ beginnt mit konkreter Ort- und Zeitangabe: Tocopilla in den Dreißigern. Hier hat der junge Alejandro (Jeremias Herskovits) genug von seiner dauernd singenden Mutter und dem hartherzigen Vater. Natürlich will er auch nicht das Medizinerhandwerk erlernen. Lieber will er sein Leben der Welt der Poesie widmen.
Bei „Poesía sin fin“ handelt es sich also um Jodorowskys Autobiografie, von seinen Anfängen, bis zu seiner Abreise nach Paris. Und wie erzählt er seine Lebensgeschichte? So, wie er alle seine Geschichten erzählt: als surrealen Bildersturm.
Spätestens nachdem Alejandro in einer Künstlerkommune ein Zuhause findet, wird der Film zum visuellen Rausch: die Farben, Personen und Orte - alles bildet eine unwirkliche Zwischenwelt, an der Freud seinen Spaß gehabt hätte. Warum tanzen hier als Skelette und Teufel verkleidete Menschen durch die Straßen?
Aber im Vergleich mit Jodorowskys früheren Werken, ist „Poesía sin fin“ in seiner Handlung nachvollziehbarer. Auch Wärme und Humor finden hier immer wieder Platz, zum Beispiel wenn der junge Dichter mit seinem Kollegen Enrique in einer geraden Linie durch die Stadt gehen will. Dabei ist man so frei, im Weg stehende Wohnungen oder Lastwagen zu über- oder zu durchqueren.
Trotzdem wird sich so mancher erst einmal überwinden müssen, bevor er in diesen Karneval des Unterbewussten eintauchen kann. Ist aber dieser Schritt erst unternommen, wird man mit der geballten Macht der Fantasie belohnt.
27.6., 17 Uhr, Gasteig Carl-Orff-Saal