Catherine Deneuve: "Nostalgie bringt uns nicht weiter"
Nach über 130 Filmen denkt die charismatische 78-Jährige nicht ans Aufhören. In André Téchinés "Abschied von der Nacht" spielt sie eine Pferdehofbesitzerin in Südfrankreich, deren Enkel sich für den radikalen Islam begeistert und in Syrien dem Dschihad anschließen will. Mit unkonventionellen Maßnahmen versucht sie, ihn von der Reise abzuhalten. Der Film läuft heute Abend auf Arte.
AZ-Interview mit Catherine Deneuve
Schon als 13-Jährige stand sie vor der Kamera, ihren Durchbruch hatte sie 1964 mit dem Musical "Die Regenschirme von Cherbourg". Seitdem ist Catherine Deneuve eine Konstante im französischen Film. Sie trat in Meisterwerken wie Polanskis "Ekel", Bunuels "Belle de Jour", François Ozons "8 Frauen" sowie in François Truffauts größtem Erfolgs "Die letzte Metro" auf.
AZ: Madame Deneuve, das Thema trifft einen wunden Punkt unserer "aufgeklärten" Gesellschaft. Was hat Sie da besonders gereizt?
CATHERINE DENEUVE: Natürlich die Zusammenarbeit mit André Téchiné. "Abschied von der Nacht" ist unser achter Film, und trotzdem hat sich keine Routine eingeschlichen. Wir sind inzwischen Freunde. Die Geschichte hat mich sofort fasziniert. Die Radikalisierung junger Leute ist ein aktuelles Thema, das uns unter den Nägeln brennt. Dennoch sind wir ratlos und hilflos im Umgang damit. Ich wäre wie die Filmfigur in so einer Situation überfordert und verunsichert.
Warum schließen sich junge Leute Ihrer Meinung nach den Islamisten an?
Aus Überdruss an unserer Gesellschaft, vielleicht auch nur aus Langeweile oder aus Lust am unbekannten Abenteuer. Es geht nicht primär um Religion. Sie suchen ihren Weg und wissen nicht, auf was sie sich wirklich einlassen. Sie werden gezielt rekrutiert und langsam aber sicher in ein Netz von Terror gezogen. Da herauszukommen ist fast unmöglich. Sie haben Angst vor der Zukunft und glauben, im Radikalismus einen Halt zu finden, einen Sinn und ein Ziel im Leben. Man muss ihnen helfen.
Frankreich wird seit Jahren von islamistischen Anschlägen erschüttert. Teile der muslimischen Bevölkerung in der Banlieue radikalisieren sich, die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu. Glauben Sie noch an eine gegenseitige Akzeptanz? Rechte Parteien haben Zulauf, deren Ruf "Frankreich den Franzosen" wird lauter. Was kann man dagegen tun?
Verständnis füreinander oder Zusammenkommen sind notwendig, aber schwierig, weil jeder lebt mit seinen Vorurteilen und seinem Milieu in seiner Blase lebt. Wir sollten uns davor hüten, zu verallgemeinern. Ich hoffe, dass sich die Lage in den Banlieues mal bessert. Aber um die Menschen aus dem Teufelskreis von Armut, mangelnder Bildung und Radikalisierung zu holen, benötigt man viel Geld und das steht derzeit nicht dafür zur Verfügung. Es ist hart.
In Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" wird Frankreich von einem islamischen Präsidenten regiert. Fiktion oder vielleicht doch im Bereich der Realität
Derzeit sehe ich so eine Tendenz nicht, aber wer weiß, was noch alles passiert.
"Mir macht vor allem der Klimawandel Sorgen"
Haben Sie Angst vor der Zukunft?
Mir macht vor allem der Klimawandel Sorgen. Der betrifft uns wirklich alle. Wenn ich Fotos von sukzessiv schmelzenden Eisbergen sehe, packt mich die Angst. Ein Filmemacher hat mir erzählt, dass er schon einige Male am Nordpol war und noch einmal dorthin zurückkehren will und wahrscheinlich zu den letzten Menschen gehört, die den Pol noch in seiner alten und natürlichen Form sehen. Ich frage mich: Wie können wir diesen Sturz in den Abgrund noch stoppen?
Auf Ihrem T-Shirt steht "Enjoy Life". Ist das trotz allem Ihr Lebensmotto?
Ich genieße das Leben, das Zusammensein mit Freunden, meine Arbeit und liebe es, mein eigenes Leben zu führen. Aber es gibt auch Dinge, die mir nicht gefallen.
Welche?
Vor allem die sozialen Medien. Auf einigen Plattformen kann jeder anonym sein Unwesen treiben, Fake News verbreiten und damit großen Einfluss ausüben. Da werden Aussagen von Politikern oder Prominenten aus dem Kontext gerissen und völlig verdreht. Es fehlt an Transparenz und Kontrolle. Die sozialen Medien wecken die dunklen Seiten im Menschen. Das ständige Verschicken von Kurznachrichten und auf das Handy starren, kann keine zwischenmenschliche Kommunikation ersetzen, sondern sorgt zunehmend für Vereinsamung, besonders bei Kindern und Heranwachsenden.
Wenn Sie zurückblicken, waren die 70er und 80er Jahre eine "bessere" Zeit?
Flucht in Nostalgie bringt uns nicht weiter. Es herrschte eine optimistische Grundstimmung trotz Kaltem Krieg und Vietnamkrieg oder atomarer Bewaffnung. Heute fühlen wir uns ständig vom Terrorismus bedroht. Es kann jeden an irgendeiner Straßenecke treffen in Paris oder in der Provinz unabhängig von Geschlecht, Alter oder Status - ein Messerangriff, ein Pistolenschuss. Bei Polizeisirenen denken wir sofort an einen Terroranschlag. Als ich im November 2015 aus dem Kino kam und Polizeisirenen hörte, wusste ich sofort, da ist etwas Schreckliches passiert. Es war der Abend des Blutbads im Konzertsaal Bataclan. Diese permanente Angst und Anspannung, diese Wachsamkeit, dieses Misstrauen Fremden gegenüber gab es früher nicht. Wir hatten mehr Möglichkeiten, zu träumen.
Gehen Sie noch "normal" ins Kino?
Seit Jahrzehnten lebe ich im gleichen Pariser Arrondissement, das ist in der Nachbarschaft kein Geheimnis. Trotzdem kann ich ungestört auf die Straße und in mein Kino gehen, am Kiosk Zeitung kaufen oder mich entspannt in ein Café setzen. Diese Freiheit brauche ich. Das wäre in Los Angeles nicht möglich.
Sie gelten als Ikone, als "Grande Dame" des französischen Films.
Diese Label gefallen mir nicht so richtig. Ich fühle mich keinesfalls als Ikone und bei "Grande Dame" denke ich an die Königin von England.
Sie gehören zu der Generation, die für Emanzipation kämpfte. Was halten Sie von der Forderung nach einer Frauenquote, nicht nur im Film, sondern auch in der Wirtschaft, in allen gesellschaftlichen Bereichen?
An der Gleichberechtigung laborieren wir immer noch. Ich bin für die Quote! Mit guten Worten allein kommen wir nicht weiter. Frauen müssen in entsprechenden Positionen immer noch besser sein als ein Mann. Jede Schwäche wird ihnen angekreidet. Es ist nur fair, endlich die männliche Dominanz zu brechen und die Mentalität zu verändern.
Nach fast 60 Jahren im Filmgeschäft, ist die Arbeit immer noch spannend oder auch mal langweilig? Beschleicht Sie manchmal das Gefühl des "Déjà vu"?
Langweilig? Nie! Vielleicht bin ich mal müde oder quäle mich an einer schwierigen Szene ab oder habe mal einen schlechten Tag. Nach zehn Stunden bin ich auch groggy, die Energie lässt nach. Aber ein Leben ohne meinen Beruf? Kann ich mir nicht vorstellen. Das wäre nicht mehr mein Leben.
Heute, 20.15 Uhr, Arte
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