Branchenkenner Rüdiger Suchsland: Unser "Staatskino" bringt's nicht!

Was ist los mit dem deutschen Film? Zu viele reden rein, und gesellschaftlich "Relevantes" wird über die Frage gestellt: Was wollen die Leute sehen?
von  Rüdiger Suchsland
Nicht genau der deutsche Film, den sich viele Kritiker oder Intellektuelle wünschen, aber ein Beispiel für gelungene Unterhaltung, die keinesfalls dämlich oder läppisch ist: "Guglhupfgeschwader” führt gerade als deutsche Ausnahme souverän die Kino-Charts an.
Nicht genau der deutsche Film, den sich viele Kritiker oder Intellektuelle wünschen, aber ein Beispiel für gelungene Unterhaltung, die keinesfalls dämlich oder läppisch ist: "Guglhupfgeschwader” führt gerade als deutsche Ausnahme souverän die Kino-Charts an. © Bernd Schuller / Constantinfilm

Nach der Corona-Zwangspause hat sich der Kinomarkt in Deutschland mittlerweile etwas erholt, er liegt aber noch ein Drittel unter dem Vor-Coronaniveau. Und ein Aspekt schwächelt dabei ganz besonders: der deutsche Film. An der heimischen Kinokasse will kaum einer mehr deutsche Filme sehen.

Im ersten Halbjahr 2022 liegt der Marktanteil bei nur 15 Prozent. Von den 2022 gestarteten deutschen Filmen gibt es bis auf "Guglhupfgeschwader" und "Wunderschön" keinen, der die Halbe-Million-Marke bei den Zuschauern überschritten hätte.

Deutsche Filme locken kaum jemanden ins Kino

Sönke Wortmanns Pennäler-Komödie "Eingeschlossene Gesellschaft" erreichte nur etwas über 330.000 Zuschauer. Die ebenfalls mit deutschen Stars gespickte Episodenkomödie "Die Geschichte der Menschheit - leicht gekürzt" erreicht nur noch 270.000 Zuschauer und der Arthousefilm von Andreas Dresen "Rabiye Kurnaz gegen George W. Busch" noch 150.000 Zuschauer, womit er sogar noch vor Leander Haußmanns "Stasikomödie" liegt, die unter 90.000 Zuschauern blieb.

Neuer gestartet ist "Liebesdings" mit Elyas M'Barek, der bei 280.000 Zuschauern stehenbleiben könnte.

Was ist also los mit dem deutschen Film und dem Kino und dem Publikum? Wir haben Leute aus der Filmbranche gefragt - wie den Filmkritiker und Branchenkenner Rüdiger Suchsland: Film ist Kunst - solange wir das nicht akzeptieren, wird der deutsche Film nicht aus seiner ewigen Krise herauskommen. Die Probleme sind hausgemacht, die Herausforderungen international.

"Der deutsche Film kann gar nicht besser sein" - dies schrieb der Filmhistoriker Joe Hembus dem deutschen Film bereits vor über 60 Jahren ins Stammbuch. An dem grundsätzlichen Befund hat sich seitdem nichts geändert. Er verweist auf dreierlei: Einerseits darauf, dass die Produktionsbedingungen so sind, wie sie sind: Der deutsche Film ist nicht Hollywood, kann es auch nicht sein, weil wir gar nicht so ein riesiges potenzielles Publikum haben und deswegen mit Filmen weniger Geld zu verdienen ist.

 "Staatskino" der anderen Art gibt es  heute sehr wohl

Zweitens sind die Produktionsbedingungen so, dass heute mehr denn je die politische und gesellschaftliche Einflussnahme auf den Film riesig ist. Natürlich sind wir weit entfernt von den Zeiten des Dr. Joseph Goebbels; ein "Staatskino" der anderen Art gibt es aber heute sehr wohl, da hatte der gerade verstorbene Klaus Lemke in seiner grundsätzlichen Kritik am deutschen Filmfördersystem völlig recht: Es gibt Filme, die politisch gewollt sind, weil sie von angeblich "relevanten" Themen erzählen, weil sie Figuren zeigen, mit denen oder mit deren Problemen wir uns angeblich "identifizieren" können, und weil angeblich Filme mit Figuren, mit denen wir uns nicht identifizieren können, an der Kasse automatisch nicht funktionieren. Nur weil ein Film ein "relevantes" Thema hat, oder man sich mit einer Figur identifizieren kann, ist aber niemand von ihm gefesselt.

Vielmehr ist man durch etwas gefesselt, weil man es gerne sieht. Was man eigentlich gerne sieht, das weiß letztendlich keiner - wüssten wir es, hätten wir das Sesam-öffne-dich für den universalen Filmerfolg in der Hand. Grundsätzlich aber zählt natürlich: Man geht ins Kino, weil man dort Bildern begegnet, die "bigger than life" sind, und man schönen Menschen zusieht, die schöne Dinge tun.

Das wäre es, was wir von Hollywood lernen müssten: Die Überzeugung, das Kino auch unterhalten sollte. Und dass das Publikum zwar nicht immer recht hat, wir es aber auch nicht unterschätzen dürfen. Wobei ehrlicherweise auch in Hollywood Genie und Innovationskraft immer stärker in die Streamingdienste abwandern. Hier spiegelt die Krise des deutschen Films nur die allgemeine Lage: Film ist längst mehr, als "Kino". Und während das Kino gerade zu sterben droht, lebt der Film.

Kino und Film sind das Stiefkind der Kulturpolitik

Die Pandemie hat deutlich gemacht, was viele schon länger wussten: Kino und Film sind das Stiefkind der Kulturpolitik. Nach wie vor wird suggeriert, Kino sei ein gefährlicherer Ort als andere. So haben wir verlernt, Kino und andere Kulturangebote in Gemeinschaft zu genießen, und sind zu Einsiedlern im Wohnzimmer geworden. Das betrifft nicht das Kino allein, sondern die gesamte Kultur.

Hinzu kommt: Weil die Filmförderbedingungen so sind, wie sie sind, und zum viel zu wenigen Geld und dauerndem Hineingerede nun und auch noch Verpflichtung zum "green producing" dazu kommen und eine politisch gewünschte Diversität, gerät bei all diesen bürokratischen Einschränkungen das, worum es eigentlich geht, immer weiter in den Hintergrund: die Kunst. Die Qualität der Filme. Ihre Fähigkeit, uns zu verzaubern und zu irritieren und zu provozieren und träumen zu lassen.

Film ist Kunst - solange wir das nicht akzeptieren, wird der deutsche Film nicht aus seiner ewigen Krise herauskommen. Die Probleme sind hausgemacht, die Herausforderungen international.

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