Brachiale Therapie

Der Boxerfilm "Bleed for this" mit Miles Teller in der Hauptrolle stellt nach einer wahren Geschichte ein unglaubliches Comeback in den Mittelpunkt.
Diemuth Schmidt |
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Auf dem Weg zum Titel unterstützen Trainer Kevin Rooney (Aaron Eckhart, rechts) und Vinnys Vater Angelo (Ciarán Hinds, links) den Boxer (Miles Teller).
2016 Sony Pictures Releasing GmbH Auf dem Weg zum Titel unterstützen Trainer Kevin Rooney (Aaron Eckhart, rechts) und Vinnys Vater Angelo (Ciarán Hinds, links) den Boxer (Miles Teller).
Das drohende Aus der Karriere, meist auf dem Höhepunkt des Erfolgs, gehört zum Standard im Boxerfilm. Mal stehen der Verlust des Augenlichts oder ernsthafte Hirnschäden zu befürchten. In "Bleed for this" sorgt ein Autounfall
mit Genickbruch dafür, dass Vinny Pazienza (Miles Teller) nach Ansicht der Ärzte nie wieder in den Ring steigen kann. Natürlich schafft er das schier unmögliche Comeback. Von dieser wahren Geschichte ließ sich Ben Younger ("Couchgeflüster") zu einem vorhersehbaren, aber atmosphärisch dichten Drama inspirieren. Im amerikanischen Providence bereitet sich 1988 der junge
Boxer
Vinny auf den nächsten Kampf vor. In Plastikfolie gehüllt, auf dem Trimm-Dich-Rad, schwitzt er noch mal runter, was geht, denn gleich muss er auf die Waage für seinen nächsten Kampf. Gerade so besteht er die Gewichtsprüfung und darf antreten. Die großen Gesten beim Einmarsch in den Kampf verpuffen schnell im Ring, denn dem dehydrierten Vinny fehlt die Kraft. Er verliert das dritte Match in Folge, sein Manager (Ted Levine) rät ihm dazu aufzuhören. Doch die Pazienza-Entourage, allen voran Vater Angelo (Ciarán Hinds), der seinen Sohn zum Boxen brachte, gibt nicht auf. Ein neuer Trainer muss her und Kevin Rooney ( Aaron Eckhart), der einst Mike Tyson
zum Sieg verhalf, nun aber selbst mit Alkoholproblemen zu kämpfen hat, erscheint auf der Bildfläche. Das sperrige Duo muss sich aneinander gewöhnen, zumal Kevin eine gewagte Taktik einschlägt: Er lässt Vinny zunehmen und damit zwei Gewichtsklassen aufsteigen. Damit findet der junge Mann zu seiner Form und gewinnt 1991 den Weltmeistertitel im Junior Mittelschwergewicht. Doch was wäre das für ein Spielfilm, ginge es immer bergauf? In diesem Fall braucht es keine Phantasie eines Drehbuchautors, das wahre Leben sorgte für einen dramatischen Absturz: Bei einem Autounfall bricht Vinny sich den Hals. Er könne froh sein, wenn er überhaupt wieder jemals laufen kann, meinen die Ärzte
, an Boxen sei nicht zu denken. Lieferte der Film zuvor vorrangig Boxkampfbilder vom über sich hinauswachsenden Einzelkämpfer, schlägt er nun eine neue Richtung ein. Zum ersten Mal schmerzt das Hinschauen nun so richtig, denn Vinny entscheidet sich für eine brachiale Therapie. Ein martialisch wirkendes Gerät wird an seinen Körper angebracht, das den Kopf mit Schrauben fixiert. Auf Anästhesie verzichtet der Sportler, der seinem Körper keine Artzney zuführen möchte, - Schmerz zu ertragen, ist er gewöhnt. Am Ende des Films wird Vinny in einem Interview sagen, dass alles, was er geschafft hat, eigentlich ganz einfach ist. Dies scheint sich auch der Regisseur
bei der Inszenierung dieses Films vorgenommen zu haben: Alles ganz einfach zu halten. Es gibt keine tiefere Psychologie, keine inneren Konflikte. Für Vinny ist ein Leben ohne Boxen nicht vorstellbar, also muss er alles unternehmen, um wieder fit zu werden. Regisseur Younger verkneift sich Verklärung, das zeigen schon eingangs die Szenen der Boxkämpfe, bei denen er ohne in Zeitlupe spritzendes Blut und Close-ups von auf Gesichter knallenden Boxhandschuhe auskommt. Genauer hin schaut er dagegen bei der Lebenswelt der Pazienzas, den sozialen Mikrokosmos der Arbeiterklasse abseits der Metropolen in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren. Ritualisierte Handlungen bestärken den Zusammenhalt, Konflikte werden wortkarg und leise ausgetragen. Optisch zählen die Details von der Tapete übers Auto bis hin zu den Modesünden. Miles Teller ("Whiplash") zeigt mit dieser Rolle derweil seine Wandelbarkeit. Die Begeisterung, die er als Vinny fürs professionelle Verkloppen hegt, wirkt durchaus ansteckend. Wirklich Neues hat "Bleed for this" dem Genre Boxerfilm nicht hinzuzufügen, das Drama reiht sich aber ein als ein Werk, das die weniger glamouröse, dafür menschlichere Seite einer Branche und ihres täglichen Geschäfts zeigt. Als eine Huldigung an den menschlichen Körper und Geist und was diese im Extremfall wegstecken können, funktioniert der Film auf jeden Fall.
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