Interview

Bestsellerautor Sebastian Fitzek: "Häuslicher Missbrauch ein riesiges gesellschaftliches Problem"

Sebastian Fitzek zeigt mit seinem Thriller "Der Heimweg", dass sich die Gefahr von häuslicher Gewalt durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht.
Florian Koch |
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Klara (Luise Heyer) fürchtet in "Der Heimweg" nicht nur ihren gewalttätigen Ehemann, sondern wird auch von einem Serienkiller gejagt.
Klara (Luise Heyer) fürchtet in "Der Heimweg" nicht nur ihren gewalttätigen Ehemann, sondern wird auch von einem Serienkiller gejagt. © Jim Rakete/Prime Video

Insgesamt 81 Wochen in den Bestsellerlisten, davon elf Wochen in Folge an der Spitze. "Der Heimweg" war ein Überflieger auf dem Buchmarkt. Die Marke Sebastian Fitzek. Sie hat mal wieder funktioniert. Nun soll der Psychothriller auch den Streaming-Markt erobern. Nach dem Erfolg mit der Serie "Die Therapie" setzt Prime Video die Zusammenarbeit mit dem Bestsellerautor fort. Für die packende Verfilmung (Regie: Adolfo J. Kolmerer) braucht man jedoch starke Nerven. Denn die Geschichte um die junge Mutter Klara (Luise Heyer), die aus Angst vor einem Mörder und ihrem gewalttätigen Ehemann (Friedrich Mücke) nachts bei einem Mitarbeiter eines Begleittelefons (Sabin Tambrea) anruft, hat es in sich.

Für die Verfilmung musste Fitzek auch seine Figuren töten 

AZ: Herr Fitzek, Film und Buch eröffnen mit der These: "Wer das Datum seines Todes kennt, hat mit dem Sterben schon begonnen". Was hat es mit dieser Drohung auf sich?
SEBASTIAN FITZEK: Ich habe ja auch Jura studiert. Und für mich ist die grausamste Vorstellung einer Todesstrafe genau der Moment, wenn man an den elektrischen Stuhl festgeschnallt wird. Und nichts anderes macht im übertragenen Sinn auch der Täter in "Der Heimweg", der seinen Opfern ein Ultimatum für den Tod stellt.

Sie haben ungewöhnlich viel Mitspracherechte bei den Verfilmungen ihrer Romane. Wie nutzen Sie die aus?
Am wenigstens Einfluss habe ich auf das Casting, am meisten bei den Drehbüchern. Da bekomme ich die jeweiligen Fassungen zugeschickt und werde explizit nach meiner Meinung gefragt. Auch zum Rohschnitt werde ich eingeladen. In diesem Fall habe ich dem Regisseur Adolfo J. Kolmerer zwei Vorschläge gemacht, wie ich die Szenen schneiden würde. Und das wurde dann auch diskutiert. Am Ende muss man sich die Zusammenarbeit wie bei einem guten Lektorat mit mir als Sparrings-Partner vorstellen.

Die Schauspieler Friedrich Mücke (l-r), Luise Heyer und Sabin Tambrea bei Premiere des Films "Der Heimweg".
Die Schauspieler Friedrich Mücke (l-r), Luise Heyer und Sabin Tambrea bei Premiere des Films "Der Heimweg". © picture alliance/dpa

 

Ihre erste Zusammenarbeit mit Amazon Prime Video war "Die Therapie", eine Serie. Nun ein Spielfilm. Woher kommt der Wandel in der filmischen Umsetzung?
Ich bevorzuge das Spielfilm-Format, auch wenn das bedeutet: Kill your Darlings. Auf einige Figuren und Nebenhandlungsstränge mussten wir verzichten. Letztlich muss man die Geschichte des Romans neu durchdenken. Am Ende hat es den Stoff in dieser komprimierten 90-Minuten-Länge filmisch dichter gemacht.

"Man wird als Mann nicht als Gewalttäter geboren"

Das Thema Missbrauch wird hier konsequent in eine Thriller-Handlung eingebettet. Wie kann man dem sensiblen Thema in dieser Genre-Form gerecht werden?
Ich als Autor kann nur über Themen schreiben, die ich für relevant halte. Und auch wenn ich nicht mit einer Schere im Kopf arbeite, bin ich mir um die Ernsthaftigkeit des Themas und dem Respekt vor den Opfern stets bewusst. Kritik kommt dann eher von Menschen, die glauben, dass das Thema nicht relevant ist oder die dazu nichts gelesen haben. Ich glaube, man sollte den Scheinwerfer auf das Thema so oft wie möglich und in welcher Form auch immer lenken.

Klara (luise Heyer) und ihr Ehemann (Friedrich Mücke)
Klara (luise Heyer) und ihr Ehemann (Friedrich Mücke) © Jim Rakete/Prime Video

Warum ist häuslicher Missbrauch immer noch ein Tabuthema?
Es fehlt die Anerkennung, dass häuslicher Missbrauch ein riesiges gesellschaftliches Problem ist. Sicher wird man als Mann nicht als Gewalttäter geboren und auch keine Frau heiratet man in der Absicht, sie zu schlagen. Viel wichtiger ist es, die Ursachen genauer zu erforschen und nicht den Mantel des Schweigens über das Thema zu legen. Häufig ist es leider so, dass Opfern von häuslicher Gewalt immer noch nicht geglaubt wird, weil der Täter so smart aussieht wie im Film bei uns ein Friedrich Mücke.

"Die Oberschicht lässt sich die Gewaltbereitschaft nicht anmerken"

Die Täter-Figur stammt aus der Oberschicht, lässt sich die Gewaltbereitschaft nicht anmerken.
Wir wollen damit zeigen, dass Missbrauch eben nicht nur im Prekariat stattfindet, sondern sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht. Und wenn dieser Fakt erst einmal einer breiteren Schicht bekannt ist, wird der Freundin vielleicht doch noch genauer zugehört, wenn man ihr erzählt, dass dem Partner nicht nur einmal die Hand ausgerutscht ist. Diese Erkenntnis ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Um darauf hinzuweisen, muss einem jedes erzählerische Mittel recht sein.

Autor Sebastian Fitzekbei der Premiere des Films "Der Heimweg".
Autor Sebastian Fitzekbei der Premiere des Films "Der Heimweg". © picture alliance/dpa

Stichwort Gewalt. Sie loten im Film "Der Heimweg" Grenzen aus, auch wenn nichts explizit gezeigt wird. Wo verläuft für Sie persönlich die Grenze des Zeigbaren?
Mir wird ja immer wieder eine extreme Gewaltdarstellung unterstellt. Aber was ich mache, ist, dass ich Menschen vor ein Schlüsselloch stelle und sie hineinschauen lasse. Wenn diese Menschen bereits vorab sehr grausame Bilder im Kopf haben, empfinden sie meine Bücher als explizit. Anderen, die vielleicht etwas abgestumpfter sind, ist es dann wieder nicht hart genug. Für mich ist Gewaltdarstellung ein Mittel zum Zweck. Aber nicht zur Unterhaltung, sondern zur Verdeutlichung des Themas.

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Wie sieht es damit konkret bei "Der Heimweg" aus?
In diesem Fall musste ich von einer Frau erzählen, die sich das Leben nehmen will, obwohl sie Kinder hat. Und das ausgerechnet vor einer Gesellschaft, die Frauen häufig sagt: Was hast du denn, hab dich nicht so! Das heißt im Umkehrschluss, dass ich in einigen Szenen im Buch expliziter werden musste. Im Film, in dem man mit Bildern arbeitet, die sich vielleicht ins Bewusstsein eingraben, war es mir wichtig, dass man nicht von der eigentlichen Spannung mit brutalen Szenen ablenkt. In diesem Zusammenhang war es für mich entscheidend, dass mit Susanne Schneider eine Frau das Drehbuch geschrieben hat, damit nicht nur der männliche Blick auf dem Thema ruht.

Zuletzt sind Sie im Rahmen ihrer Lesereise in der Olympiahalle wie ein Popstar vor 13.000 Menschen aufgetreten. Sehen Sie sich bei diesen Auftritten auch als Botschafter für das Lesen und Schreiben?
So toll diese Abende auch waren, habe ich auch gemerkt, dass ich so große Hallen nicht unbedingt brauche. Meine nächste Lesetour wird mich auch wieder in Buchhandlungen führen. Und ich will dann genau dort lesen, wo ich meine Anfänge haben durfte als ich noch ein No Name war.

Wie sehen Sie allgemein die Entwicklungen im Buchmarkt?
Mich ärgert es, dass die Buchbranche dazu neigt, alle schlechten Zahlen sofort herauszuposaunen. Die wenigsten wissen nämlich, dass die Buchbranche, was den Umsatz anbelangt, größer ist als die Musik- und Filmindustrie zusammen. Dabei gibt es bei uns keine massentauglichen Preisverleihungen wie etwa die MTV Music Awards, bei denen einmal das Buch und nicht ich, der Autor, auf das Podest gehoben wird. Hätte das Buch und das Lesen mehr Botschafter, hätte man auch nicht ab und zu das Gefühl, man ist in der Minderheit, wenn man ein gutes Buch liest.

"Der Heimweg", ab 16. Januar auf Amazon Prime Video

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