Berlinale: Was uns erwartet, wen wir erwarten

Hunde, Katzen und Bären natürlich: Die 68. Berlinale startet mit üblich reichhaltigem Filmprogramm. Rufe nach einer Reform überschatten das Festival vorab
Wer mit der Kunst zu tun hat, darf mit gelegentlichen Verletzungen rechnen. So musste Berlinale-Chef Dieter Kosslick ein paar Blessuren wegstecken: 79 Regisseure hatten einen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterzeichnet, in dem sie eine Neuausrichtung fordern sowie die Ernennung einer Auswahlkommission zur Nachfolgerfindung. Für Kosslick war das Angriff genug: Was reformiert werden muss, kann ja zuvor nicht wirklich gut gewesen sein, oder? Während Kosslicks wirtschaftliche Leistung Anerkennung findet, wird seine künstlerische Kompetenz angezweifelt. Womit man bei der Cinéphilie ist – und beim diesjährigen Berlinale-Programm, in dem sich einige Filme mit Künstlern aller Art befassen. Als ob im Hinwegdämmern der Ära Kosslicks noch mal genau erkundet werden soll, was (Film-)Kunst eigentlich ist und was sie an Höhenflügen und Talfahrten mit sich bringt.
Für Berlin ist natürlich die Premiere von „Partisan“ ein wichtiges Ereignis – eine Hommage an die Volksbühne unter Ex-Intendant Frank Castorf. Der Film läuft in „Panorama Dokumente“ – eine von neun Reihen, die wiederum in Unterkategorien unterteilt sind. Plus drei Sonderreihen. In diese Schubladen wurden heuer insgesamt 385 Filme gesteckt. Übersichtlich sieht anders aus. Während es bei den Filmen in Zukunft deutlich weniger werden soll, kann es in Sachen Stars nie genug sein – ein ständiger Kampf, nicht nur angesichts der dichten Drehpläne der Schauspieler, sondern auch, weil die Oscarverleihung in L.A. ansteht und Cannes im Mai ein wesentlich höheres Budget hat.
Robert Pattinson, Isabelle Huppert und Joaquin Phoenix
Robert Pattinson, Isabelle Huppert und Joaquin Phoenix, alle drei in Wettbewerbsfilmen, haben sich jedoch angekündigt. Auch Rupert Everett könnte kommen, der in seinem Regiedebüt „The Happy Prince“ selbst Oscar Wilde in dessen späten Lebensjahren verkörpert.
Dass Willem Dafoe nach Berlin reist, ist zu 99 Prozent sicher – schließlich bekommt er den Ehrenbär verliehen.
In seinem zweiten Animationsstreich nach „Der fantastische Mr. Fox“ spinnt sich Wes Anderson ein Abenteuer auf einer dystopischen Müllhalde in Japan zusammen – mit Hunden als Helden: „Isle of Dogs“ eröffnet heute die Berlinale, und der texanische Regisseur wird wohl bei der Weltpremiere anwesend sein. Sein „Grand Budapest Hotel“ eröffnete das Festival 2014 und brachte ihm einen Silbernen Bären ein. Auf Kontaktpflege verstehen sich Kosslick und sein Team offenbar sehr gut. Unter den 24 Wettbewerbsbeiträgen – 19 davon konkurrieren um die Bären – tummeln sich alte Bekannte wie der philippinische Regisseur Lav Diaz. Der crashte den Wettbewerb 2016 mit seinem achtstündigen Epos „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“. In „Season of the Devil“ beschäftigt Diaz sich nun mit einer Militäraktion in einem Urwalddorf in den 70ern und belässt es bei vier Stunden Laufzeit.
Jury-Präsident Tom Tykwer trifft aud Christan Petzolds Film
Terror und Flucht werden mehrfach behandelt: José Padhila, Gewinner des Goldenen Bären 2008 für „The Elite Squad“, geht mit „7 Days in Entebbe“ ins Jahr 1976 zurück, als eine Air-France-Maschine auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris von deutschen und palästinensischen Terroristen entführt wurde. Unter den Filmgeiselnehmern: Daniel Brühl. Das norwegische Drama „Utøya 22. Juli“ schildert das Attentat des Rechtsextremisten Anders Breivik aus einer (fiktionalisierten) Opferperspektive. Wer Kino aus München in Berlin erleben will, wird in der „Perspektive Deutsches Kino“ fündig. Unter fünf Filmen von (ehemaligen) HFF-Studenten findet sich Susan Gordanshekans „Die defekte Katze“. Insgesamt stärkt die Berlinale die Position des deutschen Films mit gleich vier Einladungen in den Wettbewerb, wenngleich das mit der Schwierigkeit zusammenhängen könnte, andere große Namen herzulocken. Aber sollte man Christian Petzold nicht eh als Starregisseur bezeichnen? Er transportiert Anna Seghers zwischen 1940 und 1941 im Exil verfassten Roman „Transit“ ins Flüchtlingsheute, mit Franz Rogowski in der Hauptrolle. Der spielt zudem mit Sandra Hüller ein Liebespaar im Großmarkt einer ostdeutschen Provinz – in Thomas Stubers „In den Gängen“.
Und während Philip Gröning sich mit „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ am Coming-of-Age-Genre ausprobiert, re-imaginiert die Berliner Regisseurin Emily Ataf in „3 Tage in Quiberon“ jenes quälende Interview, das Romy Schneider 1981 dem „Stern“ in der französischen Hafenstadt Quiberon gab. Dabei zieht die von Marie Bäumer gespielte Romy Schneider bittere Lebensbilanz. Alles für Kunst und die Katz? Vielleicht findet Dieter Kosslick ja ein wenig Genuss bei seiner vorletzten Berlinale und kommt ins Gespräch mit Jury-Präsident Tom Tykwer, der einer der Unterzeichner des Briefes an Grütters war. Tykwer meinte bereits, dass er und seine Regiekollegen dem Noch-Chef eigentlich gar nicht ans Leder wollten. Reformen braucht es aber nun mal immer wieder, im Leben wie in der Kunst