Berlinale: Das Kino als verbindende Kraft
Politische Äußerungen gehören zum Tagesgeschäft der Berlinale. Die internationalen Weltpremieren zieht das Festival, das unter seiner neuen Festivalleiterin Tricia Tuttle sein 75-jähriges Bestehen feiert, offenbar weiterhin nicht, kann aber stattdessen viele Filme zeigen, die den fragilen globalen Status quo unter die Lupe nehmen. Zudem bekam jetzt mit Tilda Swinton eine Schauspielerin den Ehren-Bären verliehen, die politisch kein Blatt vor den Mund nimmt
Gegen eine "Politik von Ausgrenzung, Verfolgung und Abschiebung" plädierte Swinton bei ihrer Dankesrede während der Eröffnung des Festivals am Donnerstag und legte am nächsten Tag bei einer morgendlichen Pressekonferenz nach. Sie sei eine Ikone der LGBTQ-Szene in Russland, meinte da ein Filmjournalist und wollte von ihr wissen, an was denn die queeren Menschen in Russland, deren Leben alltäglich in Gefahr sei, glauben sollten. "Finde deine Gruppe, vertraue deiner Gruppe, bleib in deiner Gruppe" empfahl Swinton und fügte hinzu: "Du musst an die Menschlichkeit der Leute glauben, auch wenn sie nicht in deiner Gruppe sind. Wir müssen daran glauben, dass es möglich ist, die Herzen der Menschen auf der Gegenseite zu erreichen."
"Ich bin eine große Bewunderin von BDS"
Kontroverser wird es, wenn Swinton ihre Sympathie für die BDS-Bewegung ("Boykott, Desinvestition und Sanktionen") bekundet, die unter anderem zum Boykott gegen Waren aus Israel aufgerufen hat und vom Bundestag hinsichtlich ihrer Argumentationsmuster und Methoden als antisemitisch eingestuft wurde. "Ich bin eine große Bewunderin von BDS", meint Swinton unverblümt und bekundet ihren Respekt vor deren Arbeit. Solche Statements können der neben ihr sitzenden Festivalleiterin Tricia Tuttle nicht gerade genehm sein, aber Tuttle stellte immer wieder in Interviews fest, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auf der Berlinale natürlich gelte.

Was ihre Karriere ihr denn insgesamt gegeben habe, will eine Journalistin wissen. "Ganz einfach: Verbindung", sagt Swinton. Das Kino als verbindende Kraft also, es wird auf der Berlinale wieder ausführlich gefeiert, selbst wenn mancher Wettbewerbsbeitrag nicht das hält, was er verspricht.

Ein Frauenfilm
Als Autorin hat Rebecca Lenkiewicz einige Meriten vorzuweisen. Sie verfasste das Drehbuch für Pawel Pawlikowskis oscarprämierten Film "Ida" (2015) oder für Maria Schraders #MeToo-Film "She Said" (2022). Für ihr Regiedebüt "Hot Milk" konnte Rebecca Lenkiewicz zudem einen illustren Cast gewinnen: Fiona Shaw, bekannt als Tante Petunia aus den "Harry Potter"-Filmen, und Emma Mackey, bekannt als Maeve aus der Netflix-Serie "Sex Education", spielen ein Mutter-Tochter-Gespann, das in die spanische Küstenstadt Almería reist, weil die schwer erkrankte Mutter sich dort Heilung durch einen rätselhaft-charismatischen Arzt (Vincent Perez) erhofft.
Vor allem aber hat die Mutter schlechte Laune. Die Tochter versucht, sich abzulenken, wird im Meer von Quallen gebissen, langweilt sich ansonsten, was leider auch auf die Zuschauer des Films zutrifft. Bis Vicky Krieps im weißen Kleid auf einem Pferd ins Strandleben und in den Blick der Tochter hineinreitet. Die beiden lernen sich näher kennen, küssen sich.

Dass diese hippieske Ingrid aus Berlin polyamourös unterwegs ist, sorgt bei der Tochter für Eifersucht, gibt aber diesem Film, in dem es um Schuldgefühle und mangelnde Entscheidungskraft geht, auch keinen Drive. Ein redliches Regiedebüt, auf jeden Fall, aber dass es in den Wettbewerb eingeladen wurde, hat wohl vor allem mit dem Ensemble zu tun, das in Berlin dann auch auf dem roten Teppich stand. Die Konzentration auf mehrere Frauen und ihre Beziehungen untereinander mag ebenfalls zur Festivaleinladung beigetragen haben. Was denn mit den Männerfiguren in dem Film los sei, will eine Journalistin bei der Pressekonferenz wissen. Etwas unterentwickelt, oder? "Das ist ein Frauenfilm", kontert Vicky Krieps. "Da kommt die Männerversehrtheit nicht so zum Ausdruck."
Timothée Chalamet als Bob Dylan
Hübsche "Männerfilme" gibt es auf der Berlinale natürlich auch - in "Like a Complete Unknown" erzählt Regisseur James Mangold zum Beispiel von der beginnenden Karriere eines jungen, sensiblen Musikers: Bob Dylan. Der Film lief bereits auf mehreren Festivals, ist acht Mal für den Oscar nominiert und war in Berlin als deutsche Premiere zu sehen. Keine große Sensation also, aber immerhin kam Hauptdarsteller Timothée Chalamet für die Aufführung im Berlinale Palast und sah sich davor bei einer Pressekonferenz einer Journalistenmeute gegenüber, die sich wie Fans um Selfies mit dem Star riss und ihn mit Lobhuldigungen geradezu überschüttete.

Fünfeinhalb Jahre lang, "tags und nachts", hat Chalamet sich mit Dylan befasst, von einer "Osmose" spricht er, hat zwischendurch zwanzig Pfund zugenommen, um den noch nicht vom Touren ausgehungerten Dylan der frühen Sechziger spielen zu können. Wie er die Gewichtszulage schaffte? "Indem ich sehr viel gegessen habe." Gitarre lernte er auch für die Rolle, Dylans Gitarrenspiel sei ja in den Sechzigern bei weitem noch nicht so ausgefeilt gewesen wie später in den Achtzigern, was dankbar gewesen sei. "His downstrokes were heavy", sagt Chalamet und meint damit das Anschlagen der Gitarrensaiten von oben nach unten, bei Dylan einst noch grob.
Im Gedächtnis blieben ihm einige Szenen, besonders einprägsam: die Nachstellung von Dylans Auftritt beim Newport Folk Festival 1965, bei dem Dylan sich in Richtung Rock bewegte. Angesprochen darauf, inwiefern er, mit Blick auf das Vorbild, künstlerisches Dasein und Aktivismus trennen könne, freut sich Chalamet darüber, in Europa zu sein: "Hier werden komplexere Fragen gestellt." Dylan habe sich nie auf einen Aktivismus festnageln lassen, findet er und möchte sich selbst auch politisch nicht äußern. "Meine Agenda ist ziemlich langweilig: Ich suche einfach immer nach dem nächsten fantastischen Regisseur, mit dem ich arbeiten kann." Klingt nach einem guten Plan.
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