Berlinale 2022: Wie eine Dampfwalze

Der Goldene Bär geht an Carla Simóns Film "Alcarras", Berlinale-Siegerin der Herzen ist aber die Comedienne Meltem Kaptan.
von  Markus Tschiedert
Meltem Kaptan und Andreas Dresen auf dem roten Teppich im Berlinale-Palast.
Meltem Kaptan und Andreas Dresen auf dem roten Teppich im Berlinale-Palast. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Berlin - Das Festival dauert zwar noch bis zum 29. Februar, die Luft ist aber jetzt schon raus, weil der Wettbewerb - die eigentliche Attraktion des Festivals - schon nach sechs statt zehn Tagen seinen Abschluss gefunden hat. Mit der Preisverleihung am Mittwochabend wurde der Höhepunkt gesetzt, auch wenn die Gala im Berlinale-Palast am Marlene-Dietrich-Platz an sich in knapp anderthalb Stunde recht unspektakulär vonstattenging.

Berlinale 2022: Abgeräumt haben 2022 hauptsächlich Frauen

Da war Festivalleiterin Mariette Rissenbeek in ihrem blau-glitzernden Abendkleid fast schon auffällig im Vergleich zu den ansonsten leger gekleideten Damen und Herren auf der Bühne und im Publikum. Wie nicht anders zu erwarten, gingen die diesjährigen Preise hauptsächlich an Frauen, handelten die meisten Geschichten, die in den letzten Tagen auf der Berlinale erzählt wurden, doch vom Aufbegehren des weiblichen Geschlechts.

Zwei Bären für den Beitrag von Laila Stieler

Gleich zwei Bären räumte der deutsche Beitrag "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" ab. Die wahre Geschichte der deutsch-türkischen Hausfrau Rabiye Kurnaz, die sich mit dem Obersten Gericht der USA anlegte, um ihren zu Unrecht in Guantanamo inhaftierten Sohn zu befreien, kam bei allen gut an.

Alexander Scheer und Meltem Kaptan in Andreas Dresens Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush".
Alexander Scheer und Meltem Kaptan in Andreas Dresens Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush". © picture alliance/dpa/Andreas Hoefer / Pandora Film

Zuerst betrat Drehbuchautorin Laila Stieler die Bühne, um den Silbernen Bären für das "Beste Drehbuch" entgegenzunehmen. Und auch wenn es nur wenig überraschend war, dass wenig später Meltem Kaptan für ihre Darstellung der Rabiye Kurnaz den Bären für die "Beste Hauptrolle" bekam, war es dennoch eine große Freude für alle.

Die emotionalste Dankesrede

Kaptan hielt an dem Abend gewiss auch die emotionalste Dankesrede und widmete ihren Preis der echten Rabiye Kurnaz. "Ich glaube, sie ist gerade sehr glücklich", so Kaptan. "Mir war es wichtig, dass sie den Film annimmt und dass sie das als Hommage versteht für ihre Lebensleistung."

Fernsehzuschauer kennen die in Gütersloh geborene Entertainerin aus Formaten wie "Ladies Night" oder anderen Shows, etwa an der Seite von Jürgen von der Lippe oder Enie van de Meiklokjes. Sie hat auch schon in einem türkischen Kinofilm mitgespielt. Nach der Preisverleihung sagte Kaptan, das alles sei wie eine Dampfwalze gewesen, aber im positiven Sinne.

Ein Wandel in der Besetzungspolitik

Bei der Besetzungspolitik im deutschen Film sieht sie einen Wandel weg vom Klischee: Es seien nicht mehr diese ganz klassischen Rollen, in denen ein Türke immer den Gangster spiele. "Wir haben ja auch schon türkische Anwälte." Das Glas sei halbvoll, es gehe in die richtige Richtung.

Wo der Berlinale-Bär hinkommt, weiß Kaptan noch nicht genau. "Ich bin ja so ein Dekomädchen. Ich dekoriere ja sehr gerne. Und Silber kann man gut dekorieren. Das passt. Also, ich glaube, der findet seinen Platz."

Der "Preis der Jury" für "Robe of Gems"

Der "Preis der Jury" in Form eines weiteren Silbernen Bären bekam das mexikanische Drama "Robe of Gems" über drei Frauen, die neue Lebenswege beschreiten wollen, die voller Gefahren sind. Regisseurin Natalia López Gallardo, die auch das Drehbuch verfasste, nahm den Preis entgegen. In der Kategorie "Beste Regie" indes wurde die Französin Claire Denis für den Liebesfilm "Avec amour et acharnement".

Juliette Binoche spielt darin eine Moderatorin, die zwischen zwei Männern steht. Dann gab es noch den Silbernen Bären für die "Beste Nebenrolle", der an Laura Basuki ging, für "Nana", ein Drama über die Auswirkungen der Unruhen in Indonesien in den Sechzigern auf Frauen. Eine wenig bekannte Schauspielerin, die - obwohl 1988 in Berlin geboren - hauptsächlich im Ausland arbeitet.

Der Goldene Bär geht nach Katalonien

Schließlich der Goldene Bär, der stets krönende Abschluss der Preisvergabe: Dieses Jahr durfte sich die katalonische Regisseurin Carla Simón für den Film "Alcarrás" erfreuen. Es ist die Geschichte einer Familie, die sich als Pfirsichbauern in einem katalonischen Dorf behaupten, bis plötzlich ihre Existenz in Gefahr ist.

Carla Simon küsst ihren Goldenen Bären für den besten Film für "Alcarras" nach der Preisverleihung der Berlinale 2022 auf dem roten Teppich im Berlinale-Palast.
Carla Simon küsst ihren Goldenen Bären für den besten Film für "Alcarras" nach der Preisverleihung der Berlinale 2022 auf dem roten Teppich im Berlinale-Palast. © Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Noch mehr Preise - auch für Männer

Aber war da nicht noch was? Ach ja, zwei Männer wurden auch noch ausgezeichnet. Der Südkoreaner Hong Sang-soo durfte den "Großen Preis der Jury" für "The Novelist's Film" entgegennehmen. Hier geht es um eine Schriftstellerin, die sich auf eine Reise begibt, auf der sie auf die unterschiedlichsten Menschen trifft. In der Kategorie "Herausragende künstlerische Leistung" ging ein weitere Silberner Bär an den kambodschanischen Dokumentarfilmer Rithy Panh für seine dystopische Fabel "Everything Will Be OK".

Ein unattraktives Corona-Konzept

Bleibt die Frage, ob sich die Berlinale 2022 unter den besonderen Pandemie-Umständen gelohnt hat? Das diesjährige Konzept darf nur eine einmalige Sache bleiben, dafür war vieles zu kompliziert und unattraktiv. Sollte 2023 also wieder ein Virus warten, was wir nicht hoffen wollen, sollte man das Festival lieber verschieben oder absagen.

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