Berlinale 2022: Spaß sieht anders aus

Der größte Star der diesjährigen Berlinale sollte eigentlich Isabelle Huppert sein. Die französische Schauspielerin hatte bereits zugesagt, sich ihren Ehrenbären in Berlin persönlich abholen, zumal mit "À propos de Joan" auch noch ein Film mit ihr läuft, in dem sie eine Verlegerin spielt, die sich als Frau befreien will. Dann die Hiobsbotschaft am Montag. Sie soll positiv auf das Coronavirus getestet worden sein und wollte absagen. Die Verleihung fand dennoch statt, Huppert ist aus Paris live dazu geschaltet worden.
Isabelle Huppert hat Corona
So bleibt wohl Emma Thompson der gewichtigste Star der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2022. Wie schon auf dem Filmfest München 2018, wo sie mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet wurde, dominierte die britische Schauspielerin mit ihrer eloquenten Art auch in Berlin das Geschehen auf dem roten Teppich. Thompson reiste bereits letztes Wochenende für ihren Film "Good Luck to You, Leo Grande" an, in dem sie eine pensionierte Lehrerin porträtiert, die sich von einem Callboy in Sachen Liebe und Sex unterrichten lässt, weil sie noch nie einen Orgasmus hatte. Ein Thema, das dieses Jahr typisch für die Berlinale ist, auf der vor allem oft tabuisierte Geschichten über Frauen erzählt werden.
Tabuisierte Geschichten über Frauen sind 2022 typisch für die Berlinale
In diese Kerbe schlug auch Regisseurin Phyllis Nagy mit "Call Jane" über illegale Abtreibungen, die in den späten Sechzigerjahren von einer im Untergrund arbeitenden Frauengruppe organisiert wurde. Neben Elizabeth Banks ("Pitch Perfect") brilliert ebenso Sigourney Weaver, die im Kino schon vor 43 Jahren in "Alien" die erste Actionheldin der Filmgeschichte verkörperte. Die beiden Amerikanerinnen flogen aber nicht über den Großen Teich, um die Berlinale mit ihrer Anwesenheit zu schmücken.
Warum sind nur noch wenige Hollywood-Stars bei der Berlinale?
Überhaupt sind die Amerikaner in diesem Jahr unterrepräsentiert, und daran ist nicht allein die Pandemie schuld. Schon seit Jahren kann man mitverfolgen, dass die großen Major-Studios bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin kaum noch ihre Prestige-Projekte präsentieren, die anschließend sogar oft ins Oscar-Rennen gegangen sind.
Anfangs wurde Hollywoods zunehmende Abwesenheit noch damit begründet, dass die Oscar-Verleihungen in den Februar vorgezogen wurden. Aber das Interesse an Hollywoodware ist generell schon unter dem bis 2019 amtierende Festivalleiter Dieter Kosslick gesunken. Bedauerlich, waren es doch die amerikanischen Alliierten, die das Filmfestival 1951 aus der Taufe holten, um der damals zerbombten Stadt einen neuen Anziehungspunkt zu geben.
Zwar ist "Call Jane" 2022 der einzige US-Film im Wettbewerb, aber in der Special-Sektion findet sich mit "The Outfit" noch ein weiterer interessanter Film aus Amerika. Hier spielt Oscar-Preisträger Mark Rylance ("Bridge of Spies") einen Schneider, der im Chicago der Fünfziger in kriminelle Machenschaften gezogen wird. An seiner Seite brilliert Zoey Deutch, die als seine Assistentin ihrer Zeit weit voraus ist. Sie lehnt es ab, zukünftig am Herd zu verkümmern, sie will in die Welt hinaus. Eine emanzipierte Frau, die eher in die heutige Zeit passt, und wahrscheinlich auch deshalb im Film ganz entgegen der weiblichen Gepflogenheiten in den Fünfzigern Hosen trägt.
Gewinnt Meltem Kaptan in der Kategorie "Beste schauspielerische Leistung"?
Starke Frauen stehen auch in den beiden deutschen Wettbewerbsfilmen im Zentrum. Unter der Regie von Nicolette Krebitz erlebt man Sophie Rois in "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" als 60-jährige, die in eine Liaison mit einem 17-Jährigen gerät. Und allein der Titel des neuen Andreas Dresen-Films sagt, wozu Frauen fähig sind. "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" erzählt die wahre Geschichte von der deutsch-türkischen Hausfrau Rabiye Kurnaz die ihren unschuldigen Sohn aus Guantanamo retten will und dafür bis zum Obersten US-Gericht geht. Hauptdarstellerin Meltem Kaptan, die bisher als Komödiantin unterwegs war, gilt mit ihrer berührenden Darstellung als eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen in der Kategorie "Beste schauspielerische Leistung" - seit 2020 wird nicht mehr zwischen Mann und Frau unterschieden. Aber auch die Männer darf man nicht vergessen. Wenn man etwa dem Franzosen Denis Ménochet im Eröffnungsfilm "Peter von Kant" oder dem abgehalfterten Schlagerstar (Michael Thomas) in Ulrich Seidls "Rimini" zusieht, denkt man: Ach, was weinen sie schön, die Männer. Letztendlich wird das die Jury um ihren Vorsitzenden M. Night Shyamalan entscheiden.
Shyamalan, als Regisseur durch "The Sixth Sense" und "The Village" berühmt geworden, soll mit seinem Aufenthalt natürlich auch ein bisschen Hollywoodglanz versprühen. Aber auch ihn bekommt man als Schaulustigerso gut wie gar nicht zu Gesicht, weil momentan sowieso nicht die Zeit für Autogrammjäger und Selfie-Fotografen ist. Die kommen erst gar nicht soweit, weil aufs Festivalgelände nur Akkreditierte dürfen, die auch noch an mehreren Kontrollpunkte vorbei müssen.
Das sorgte für eine angespannte und angestrengte Atmosphäre. Kein buntes Treiben mehr und die meisten, die sich vorm Berlinale-Palast tummeln, sind im Arbeitsmodus. Niemand murrt, alle befolgen die Regeln. Man will diese Berlinale eigentlich nur hinter sich bringen, denn Spaß sieht anders aus.