Benedict Cumberbatch über seine neue Rolle: "Du musst der Welt Liebe zeigen"

Gerade erst war Benedict Cumberbatch für das Porträt eines psychotischen Cowboys in "The Power of the Dog" für einen Oscar nominiert, jetzt zeigt sich der 45-Jährige in einer anderen Außenseiterrolle - als hypersensibler, liebevoller Katzenmaler Louis Wain. Diese Rolle spiegelt denn auch mehr von seiner eigenen Empfindungswelt und Philosophie wider. Wobei die Erfahrung des Films noch persönlich-intimer wurde, als er es sich wohl ursprünglich vorgestellt hatte.
AZ: Mister Cumberbatch, in "Die wundersame Welt des Louis Wain" haben Sie es mit einer großen Menge von Katzen zu tun. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Benedict Cumberbatch: Dass es schwierig ist, einen Film mit ausgewachsenen Katzen zu drehen. Das kann ich nicht empfehlen, und ich möchte das nicht wiederholen. Das ist jetzt auch die Vorgabe für meine Produktionsfirma: keine Katzenfilme. Wenn du möchtest, dass sie etwas Bestimmtes tun, dann muss die Atmosphäre am Set sehr konzentriert und ruhig sein. Und natürlich brauchst du auch noch eine Clicker-Box für ihr Essen. Das sind nur ein paar Beispiele. Ich kann endlos von den ganzen Komplikationen berichten. Immerhin, mit den Kätzchen war es noch einfacher. Sie machen genau, was du willst, solange sie nur ihre Milch bekommen und Wollknäuel zum Spielen haben.
"Man muss nicht in irgendeine Schublade passen"
Heißt das, dass Sie grundsätzlich um Katzen einen Bogen machen?
Keineswegs. Außerhalb eines Filmsets liebe ich sie. Das sind magische, mysteriöse Wesen mit einer majestätischen Ausstrahlung. Sie erinnern uns alle an die wilde Seite unserer Natur. Ich habe zwar keine Katze zu Hause, aber vielleicht lege ich mir eine zu. Wobei ich wohl erstmal mit einem Hund anfangen würde.
Ihre eigentliche Aufgabe bestand ja darin, den Katzenmaler Louis Wain zu porträtieren, der im Lauf seines Lebens psychisch erkrankt. Was war die größte Herausforderung?
In den Szenen, wo er sein Gefühl für die Realität verliert, musste ich mich innerlich stark zurückziehen. Dieses Gefühl von Isolation ist nicht sonderlich gesund, ja sogar gefährlich. Die eigentliche Herausforderung war es aber, ihn als normales menschliches Wesen zu porträtieren. Wir haben ihm kein Etikett verpasst, auch die Erkrankung ist nicht benannt. Letztlich hatten wir das Ziel zu zeigen, dass es in dieser Welt okay ist, anders zu sein. Du musst nicht in irgendeine Schublade passen. Egal ob du die Dinge auf eine Weise wahrnimmst und empfindest, die man nicht für normal hält, es gibt trotzdem einen Platz für dich. Und deshalb sollten wir gegenüber Menschen, die mit unserer Realität nicht klarkommen, offen sein. Wir sollten ihnen zuhören und mit Liebe begegnen, denn das ermöglicht es ihnen, große Dinge zu schaffen.
"Es bedarf Mut, sich selbst treu zu bleiben"
Ist das was gewesen, das Sie aus dieser Rolle gelernt haben?
Das eben Erwähnte war mir schon vorher klar. Aber man kann es nicht oft genug wiederholen. Grundsätzlich lerne ich etwas von all meinen Figuren. Louis hat mir beispielsweise gezeigt, dass es Mut bedarf, sich selbst treu zu bleiben und sich deshalb nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon hat die Geschichte noch eine andere positive Botschaft. Weil er gegenüber der Welt viel Liebe zeigte, hat er diese auch von anderen Menschen zurückbekommen. Das ist für mich eine sehr wichtige Botschaft dieses Films. Man könnte fast einen Songtext daraus basteln: "Give A Little Love."
Für Louis Wain spielte seine Frau eine entscheidende Rolle. Vermutlich dürften Sie Ihre Liebe vor allem gegenüber Ihrer Frau und Ihren drei Kindern zeigen.
Nicht ausschließlich. Ich zeige sie auch gegenüber den Menschen, mit denen ich arbeite. Aber meine Familie steht natürlich an oberster Stelle. Sie inspiriert mich, und sie ist ein Grund, weshalb ich in der Früh aufstehe und zur Arbeit gehen will. Aber ich spüre ihr gegenüber auch starke Beschützerinstinkte. Deshalb spreche ich über sie nur sehr ungern in der Öffentlichkeit.
"Ich hatte nie erwartet, dass ich populär werden würde"
Haben Sie sich nicht an das Interesse der Öffentlichkeit an Ihrem Leben gewöhnt?
Es gibt Tage, wo es mich nicht stört, und andere, wo ich es als übergriffig empfinde. Auf jeden Fall ist es höchst merkwürdig. Normal wird es für mich nie sein. Und daher spreche ich eben auch nicht über die Menschen in meinem Umfeld, die sich dieses Leben nicht ausgesucht haben. Ich hatte nie erwartet, dass ich eine derartige Popularität erreichen würde. Und gerade, weil ich das alles privat halte, kann ich mein Privatleben genießen.
Aber können Sie ein Beispiel nennen, wann Sie von Ihrer Familie besonders viel Liebe erfahren haben?
Ich nehme jetzt mal meinen Vater. Man muss dazu wissen, dass er auch Schauspieler ist. Ich hatte damals gerade mit dem Schauspielstudium angefangen, da war ich 19, und er meinte zu mir: "Du wirst eine großartige Karriere hinlegen, denn du bist besser, als ich es jemals war oder je sein werde. Und ich kann es kaum erwarten, wenn ich dich in deiner Laufbahn unterstützen kann." So etwas zu hören, kam für mich einem Wunder gleich. Ich habe alles getan, damit er auf mich stolz sein kann.
Und er verfolgt weiterhin Ihre Karriere?
Ich habe weiterhin mit meinen Eltern ein enges Verhältnis. Sie kamen mich beispielsweise besuchen, als ich in Neuseeland "Power of the Dog" drehte. Es waren drei Wochen geplant, aber dann wurden wegen der Pandemie fünf Monate draus. Mein Vater war 80, und weil er auch noch schwer an Asthma leidet, hatte ich Angst, ihn wieder nach England zurückzulassen.
"Mein Vater war überwältigt, als er mich in dieser Rolle gesehen hat"
Was war denn in den letzten Jahren die intensivste Erfahrung in Ihrer Beziehung zu ihm?
Als ich ihm die erste Fassung von "Die wundersame Welt des Louis Wain" gezeigt habe. Das war, während er in Neuseeland war. In dem Film spiele ich den Protagonisten ja auch als alten Mann, und mein Vater war überwältigt. Das lag zum einen an der Geschichte, aber vor allem auch dran, dass er mich in hohem Alter gesehen hat. Das ist eine Erfahrung, die er in der Realität so nie machen wird. Und weil ich in diesem Porträt unbewusst viele Eigenschaften von ihm übernommen habe, hat er sich außerdem noch selbst wiedererkannt.
Wenn alles gut geht, werden Sie eines Tages selbst die 80 erreichen.
Früher habe ich mich mit dieser Vorstellung schwer getan. Ich habe gesehen, wie mein Vater langsam abgebaut hat und nicht mehr so schnell war. Und da war ich gelegentlich schon ein wenig ungeduldig, denn du möchtest, dass deine Eltern ja immer fit sind. Durch diesen Film und seine Reaktion darauf kann ich ihn jetzt viel besser verstehen. Es ist schon ein seltsamer Zustand, wenn man sich innerlich noch jung fühlt, aber der Körper nicht mehr so mitspielt. So ist meine Liebe zu ihm noch stärker geworden.
"Die wundersame Welt des Louis Wain" läuft im Arena und Breitwand Gauting (beide auch OmU) und Museum (OV)