"Barbaren" auf Netflix: Zerrissen in die Varus-Schlacht
Über Geld spricht man nicht: Auch Arne Nolting und Jan Martin Scharf, die mit Andreas Heckmann das Drehbuch von "Barbaren", der bisher aufwendigsten deutschen Historienserie, schrieben und als Showrunner fungieren, drücken sich vor der Kostenfrage. Einen hohen Millionenbetrag hat Netflix dann aber wohl doch für die erste Verfilmung der Varusschlacht herausgerückt. Viel Geld, das man der im Stile eines Hollywood-Films gedrehten Serie durchaus ansieht.
AZ: Herr Nolting, Herr Scharf, Arminius geistert seit Jahrhunderten durch die deutsche Geschichte. Was war der Ansatz Ihrer Serie?
ARNE NOLTING: Andreas kam mit der Idee zu uns, die Welt der Germanen und Römer zu bespielen. In unserem ersten Entwurf haben wir die Geschichte absichtlich nach der Varusschlacht angesiedelt, weil wir dachten, dass die Verfilmung dieser Schlacht sowieso keiner bezahlen kann. Dann kam von Netflix der Einwand, dass dies doch ein relevantes historisches Ereignis wäre und ob man nicht doch ein Event daraus machen könne.
JAN MARTIN SCHARF: Rein erzählerisch waren wir von der archaischen Welt im Jahre 9 nach Christus begeistert: Es gilt das Recht des Stärkeren, die Leidenschaften sind ungezügelt, das Leben ist kurz und jeder nimmt sich, was er will. Keine Polizei, eine Zivilisation wie wir sie kennen ist noch weit - und doch gibt es Regeln. Nur eben ganz andere, als wir sie heute haben. In dieser dreckigen Welt strahlen nur die römischen Rüstungen. Die größte Militärmacht der Welt will ihre Regeln im Gebiet der Stämme durchsetzen. Es ist ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath.
Die Römer reden Latein, die germanischen Stämme modernes Hochdeutsch.
NOLTING: Zuerst gab es die Idee, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen, die sich nicht verstehen. Dann kam schnell die Frage auf, wie wir diesen Bruch künstlerisch gestalten. Dafür, dass die Römer Latein sprechen sollen, haben wir uns früh eingesetzt, trotz der Bedenken, wie das mit den Schauspielern in der Praxis funktionieren sollte. Netflix hat die Entscheidung mitgetragen. Die Produktion hat daraufhin Sprachexperten engagiert, die die Texte entsprechend übersetzt und mit den Schauspielern einstudiert haben.
SCHARF: Wir alle haben unser Latinum wieder herausgekramt.
NOLTING: Du bist doch der Einzige, der keins hat!
Wie kam es dann zur Sprachfindung bei den "Barbaren"?
SCHARF: Im Vordergrund stand unser Anspruch, die Realität dieser Zeit in Hinblick auf folgende Fragen möglichst authentisch abzubilden: "Wie sah es damals aus?" und "Wie hat sich das damals angefühlt?". Auf sprachlicher Ebene hieß das, die Germanen möglichst nahbar zu gestalten. Deswegen haben wir sie im weitesten Sinne so reden lassen, wie uns heute der Schnabel gewachsen ist, und eben nicht plötzlich in Versform geschrieben, weil man sich im historischen Genre befindet. Wir bedienen uns einer modernen, hoffentlich starken, aber schnörkellosen Sprache mit einigen Referenzen an den damaligen Götterglauben und die Eindrücklichkeit, die die Natur für die Menschen gehabt haben muss. Und dann hatten wir für manche Begrifflichkeiten natürlich eine historische Fachberatung.
NOLTING: Die Tatsache, dass die Quellenlage sehr dünn ist, ist ja Fluch und Segen zugleich. Klar haben wir uns mit den römischen Quellen wie Tacitus und Paterculus beschäftigt, aber so richtig verlässlich weiß man wenig. Dadurch hat man aber auch die Freiheit, einiges zu erfinden.
Warum besetzen Sie Arminius mit dem weitgehend unbekannten Österreicher Laurence Rupp? Er hat wenig Heroisches an sich und keine Statur, die gängigen Heldendenkmälern entspricht.
NOLTING: Diese Überlegung ging schon weit vor der Besetzung los, nämlich in der Charakterisierung dieses großen Volkshelden, der leider immer wieder völkisch interpretiert, ausgenutzt und vereinnahmt wurde. Uns war es wichtig, einen zerrissenen Menschen zu zeigen, der zwischen zwei Kulturen steht, sich in seiner Identität unklar ist und es ein Leben lang bleiben wird. Das war in dieser Geschichte für uns auch so interessant, ja, so modern, dass diese heldisch verklärte Figur in ein viel ambivalenteres Licht gerückt wird.
SCHARF: Historisch ist es ja so, dass Arminius als Germane geboren, aber in Rom ausgebildet und wesentlich geprägt wurde. Insofern macht es gar keinen Sinn, den völkisch zu vereinnahmen. Der Mann hat einen Migrationshintergrund! Insofern haben wir uns sehr früh von Vereinnahmungen der Vergangenheit freigemacht und versucht, uns dem Schicksal von Arminius mit einem heutigen Blick zu nähern.
Von Thusnelda, der späteren Frau von Arminius, ist bis heute der Spitzname "Tussi" geblieben. In "Barbaren" entwickelt sie sich zu einer emanzipierten Amazonenkriegerin. Ein Tribut an unsere Zeit?
JAN MARTIN SCHARF: Unser Ausgangspunkt war, dass eine Frau, die vor 2000 Jahren einen Spitznamen geprägt hat, den man heute noch kennt, nicht schwach gewesen sein kann. Wir haben uns nach der Recherche gefragt, wie ist sie wohl gewesen als Person, nicht als Mythos. Und wir haben keine Angst vor starken Frauen, im Gegenteil. Darüberhinaus gibt es Historiker, die die Meinung vertreten, dass die Frauen der Germanen durchaus mit in den Kampf gezogen sind, wenn es hart auf hart kam. Das hätten die feinen Römerinnen nie gemacht. Und das fanden wir interessant.
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