Kritik

AZ-Kritik zu "Im Westen nichts Neues": Netflix-Hit ist deutscher Oscar-Favorit

Der deutsche Oscar-Anwärter "Im Westen nichts Neues" ist ein bildgewaltiger Antikriegsfilm, der trotz Abweichungen von Erich Maria Remarques Romanvorlage überzeugt.
von  Florian Koch
Felix Kammerer ist der Rekrut, mit dem wir durch das Inferno des Ersten Weltkriegs gehen.
Felix Kammerer ist der Rekrut, mit dem wir durch das Inferno des Ersten Weltkriegs gehen. © Netfix

In der Nacht von Sonntag auf Montag (12. auf 13. März) werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Ob auch eine deutsche Produktion dieses Jahr wieder mit einem Preis ausgezeichnet werden? Immerhin ist die Netflix-Produktion "Im Westen nichts Neues" für insgesamt neun goldene Jungs, darunter "Bester Film", nominiert. Die AZ hat den Film angeschaut.

Eine kurze Auszeit vom Schlachtenlärm. Kat (Albrecht Schuch) hat Post aus der Heimat. Doch der gelernte Schuster ist Analphabet, muss sich den Brief seiner Frau von einem Kameraden vorlesen lassen. Anfangs amüsiert sich Paul (Felix Kammerer) noch über den direkten, zupackenden Stil. Bis am Ende ein gemeinsamer Besuch am Grab des Sohnes angesprochen wird. Krank sei er gewesen, Polio hätte er gehabt, klärt Kat den geschockten Kameraden auf. Aber etwas anderes treibt Kat, ohne den die jungen Soldaten nicht einmal wüssten, wie an der Front im Winter die Hände warm bleiben, um: "Wie soll das nur werden, wenn wir mal nach Hause kommen?"

Die verlorene Unschuld einer Generation

Eine Frage, die nicht nur Zukunftsängste beinhaltet, sondern auch klar macht, dass mit diesem Weltkrieg, dem Ersten, etwas zerbrochen ist, das nie wieder zu kitten ist. Von dieser verlorenen Unschuld einer Generation im propagandistischen Kriegstaumel erzählt Erich Maria Remarque 1928 nüchtern, episodenhaft in seinem 20 Millionen Mal verkauften Werk "Im Westen nichts Neues".

Nach der oscargekrönten Verfilmung Lewis Milestones aus dem Jahre 1930 und einem Fernsehfilm (1979) war es das Anliegen von Edward Berger diesen Stoff auch aus deutscher Perspektive zu erzählen. Der US-Streaming-Riese Netflix biss an, sorgte für ein zweistelliges Millionenbudget. An 52 Tagen entstand nun dieser für den Auslands-Oscar eingereichte Antikriegsfilm, gedreht in der Nähe von Prag, der sich zur Vorlage aber durchaus seine Freiheiten nimmt.

Den im Dialog angesprochenen Heimatbesuch lässt Berger weg und auch die Indoktrinierung von "Deutschlands eiserner Jugend" durch den Lehrer Kantorek wird genau wie die Ausbildung der Rekruten auf wenige Szenen kondensiert. Hinzuerfunden hat Berger die zähen Friedensverhandlungen im Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne.

Verzicht auf jeglichen Heroismus

Berger interessiert sich in seiner handwerklich herausragenden Adaption aber vor allem für den Albtraum an der Westfront, den gnadenlosen Stellungskrieg. Der erfahrene Regisseur verzichtet auf jeden Heroismus und unterstreicht die Entmenschlichung gerade in der zweiten Hälfte in grausam blutigen Kampfszenen. Apokalyptisch wird es, wenn Panzer die Rauchschwaden auf dem Schlachtfeld zerreißen und Flammenwerfer panische deutsche Soldaten regelrecht abfackeln. Kaum erträglich eine Sequenz, in der Paul, dem Wahnsinn nahe, in einem Schlammgraben einen französischen Soldaten massakriert und sich später bei dem Toten entschuldigt. Diesen Schrecken des Krieges, der angesichts der Dramatik in der Ukraine vielfältige Assoziationen hervorruft, unterstreicht Berger auch mit den Verhaltensweisen der Entscheidungsträger.

Während das Militär, vertreten durch den zynischen General Friedrich (Devid Striesow) die Niederlage partout nicht akzeptieren will, ist Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der Regierungs-Bevollmächtigte für die Friedensverhandlungen bald schon zu einer bedingungslosen Kapitulation bereit. Seine bittere Begründung – "Sonst ist Deutschland leer" – hängt dann noch lange nach.

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