AZ-Kinokritik zu "Wilde Maus": Tragikomische Abstiegsängste

Josef Hader spielt in seinem Regiedebüt "Wilde Maus" einen arbeitslosen Kritiker auf abschüssiger Bahn.
"Es wird Leserproteste geben, ich bin eine Instanz", schäumt der renommierte Musikkritiker einer Wiener Zeitung, als ihm sein deutscher (!) Chefredakteur aus heiterem Himmel kündigt. Der kontert kühl: "Das glaube ich nicht. Ihre Leser sind größtenteils tot." Das sitzt und ist Auftakt für ein brillantes Pointenfeuerwerk voll schwarzen Humors, abgrundtiefer Bösartigkeit, verziert mit einer Portion Zynismus und Lakonie, wie ihn nur die Österreicher so perfekt hinkriegen. Nie aufgesetzt, sondern immer aus der Situation heraus. Nur lustig, wäre langweilig. Kabarettist, Schauspieler und jetzt auch Regisseur Josef Hader schaffte es mit seinem Regiedebüt locker in den Berlinale-Wettbewerb.
Nach eigenem Drehbuch wandelt er sich von der feinen Edelfeder und verehrtem Feuilletonisten zum Rächer, der nicht nur den Porsche des Ex-Chefs zerkratzt oder vor dessen Villa pinkelt, sondern auch noch andere Terrormätzchen auf Lager hat. Außerdem darunter leidet, dass seine junge und vor allem kostengünstigere Nachfolgerin, die begehrten Operntickets einheimst.
Dass er die "Schande" vor seiner jüngeren Frau verheimlicht, die beim Sex nur an Eisprung und Nachwuchs denkt, erleichtert die Situation nicht. Und das Herumbasteln mit einem alten Schulfreund (Georg Friedrich) an einer maroden Achterbahn im Prater, der "Wilden Maus", ist auch keine Perspektive.
Die Ausgebremsten der Leistungsgesellschaft
Hader, der schon bei den vier Brenner-Filmen am Drehbuch mitarbeitete, will es mit 55 noch einmal wissen, sagte sich, wann, wenn nicht jetzt, sonst bin ich zu alt dafür. Und liefert ein Rundumvergnügen vom Feinsten, auch wenn Nordlichter vielleicht nicht jedes nuancenreiche Wortspiel und jeden Wiener Schmäh verstehen. Aber schon mit der Hälfte sollte man happy sein.
Vielleicht spielen auch Selbstzweifel mit, die ganz persönliche Ablehnung von Perfektionismus, wenn die Ausgebremsten der Leistungsgesellschaft dieser frech den Finger zeigen.
Bio-Wahn und politische Korrektheit, Midlife-Crisis und intellektuelle Arroganz werden ad absurdum geführt. Die Tragikomödie über Abstiegs- und Verlustängste wird zum melancholischen Abgesang auf larmoyante Männlichkeit und eitle Großstadtneurotiker, wenn der einstige Star-Kritiker nur mit Unterhose bekleidet im Schnee hockt und mit Pillen und Whiskey dem Leiden seines Egos ein Ende bereiten will. Und weil selbst das nicht gelingt, wieder ins Leben stolpert. Eine Gesellschaftssatire aktuell, urkomisch, tragisch, menschlich. Hader!
Kino: Arri, City, Solln, Monopol, Münchner Freiheit, Rio, Isabella B&R: Josef Hader (A, 103 Min.)