AZ-Interview mit Karoline Herfurth: "Ich will Tabus normalisieren"

AZ-Interview mit Karoline Herfurth: Die 38-Jährige, geboren in Ostberlin, hatte 2001 mit der Filmkomödie "Mädchen, Mädchen" ihren Durchbruch in Deutschland. International wurde sie 2006 durch ihre Rolle in Tom Tykwers Literaturverfilmung "Das Parfum". Seit 2016 inszeniert sie als Regisseurin Spielfilme. "Wunderschön" (2021) hatte 1,7 Millionen Zuschauer.
Die Schauspielerin und Regisseurin macht Filme, die beim Publikum ankommen. In "Wunderschön" sah man Karoline Herfurth im Februar diesen Jahres mit Milchpumpe auf der Toilette eines Büros sitzen. Sie spielte eine Mutter, die versuchte, zurück in ihr Leben zu finden – mit zwei kleinen Kindern, einem arbeitenden Mann und einem Körper, der ihr fremd geworden war.
"Endlich mal was Schönes": Neuer Film von Karoline Herfurth im Kino
Jetzt ist ihr neuer Film in den Kinos: "Endlich mal was Schönes". Diesmal spielt sie die Radiomoderatorin Karla, deren Männer allesamt Flops waren und die sich ihren Traum jetzt alleine erfüllen will: ein Kind. "Ich hab keine Zeit mehr, auf irgendwen zu warten", sagt sie. Für Karla gibt es nur Jetzt oder Nie, entweder jetzt ein Kind ohne Mann oder nie ein Kind (und vielleicht einen Mann). Herfurth spielt gekonnt mit Klischees, aber immer gibt es dieses Detail, das das Klischee bricht und den Menschen darunter sichtbar macht. Ist das vielleicht das Geheimnis ihres Erfolgs? Dieses genaue Beobachten?
AZ: Frau Herfurth, was halten Sie vom Etikett "Frauenfilm"?
KAROLINE HERFURTH: Ich label ungern. Ich möchte Filme für Menschen machen, eine Kategorisierung interessiert mich nicht wirklich. Was mich interessiert, ist, dass die Menschen, die Filme machen, diverser werden und so auch diversere Geschichten erzählt werden können. Ich weiß nicht genau, was ein "Frauenfilm" sein soll. Es gibt Strukturen und Traditionen, die dazu führten, dass lange eine bestimmte Gruppe von Menschen entschied, welche Geschichten erzählt wurden – und welche nicht. Was spannend ist, entscheidet natürlich jeder aus der eigenen Bubble. Erst wenn mehrere Bubbles nebeneinander die Filmwelt gestalten, kann Vielfalt entstehen.
Drehbuchautorin, Regisseurin, Schauspielerin: "Trage diese Doppelbelastung nie alleine"
Sie schreiben an den Drehbüchern mit, führen Regie und spielen mit. Ist das nicht eine permanente Überforderung?
So eine mehrfache Herausforderung funktioniert nicht als Einzelkämpferin. Ich habe in allen Schritten Partner und Partnerinnen an meiner Seite. Für das Regieführen am Set ganz wichtig sind meine Produzenten, aber auch der Regieassistent, der Kameramann oder meine Autorin. Ansonsten ist es tatsächlich so, dass ich hin- und herrenne: vor die Kamera zum Spielen, hinter die Kamera zum Anschauen.
In Ihrem Team setzen Sie auf Kontinuität: Monika Fäßler ist Ihre konstante Partnerin beim Drehbuchschreiben, Nora Tschirner und Friedrich Mücke spielen immer wieder in Ihren Filmen mit… Wie wichtig ist Vertrauen für die gemeinsame Arbeit – und den fertigen Film?
Ich glaube, dass der vertraute Raum maßgeblich dafür ist, dass man sein Herz und seine Seele aufmachen kann. Wenn um einen herum keine schlechten Vibes sind, kann man sich fallenlassen. Das ist ganz wichtig, finde ich. So trage ich auch diese Doppelbelastung nie alleine, mein Team trägt mich da mit.
"Es ist an der Zeit, Familie neu zu denken"
In "Einfach mal was Schönes" erzählen Sie von einer Frau, die alleine ein Kind bekommen will und damit auf enormen Widerspruch stößt. Ein Kind ohne Mann, das ist immer noch ein Tabuthema. Kann ein Film daran etwas ändern?
Das Familienideal, das gesellschaftlich noch immer bevorzugt wird, ist nicht mehr angemessen. Jedenfalls nicht als einziges Modell. Es ist an der Zeit, Familie neu zu denken und andere Familienformen zu integrieren. Das, was früher eine Ehe oder eine Familie dargestellt hat, ist heute ja gar nicht mehr so notwendig, weil sich die Strukturen verändert haben. Aber die Bilder im Kopf hinken da immer ein bisschen hinterher. Mir ist es wichtig, solche Bilder, die noch tabuisiert sind, zu normalisieren. Solche Dinge selbstverständlich stattfinden zu lassen und so die Aufregung zu durchbrechen.
Karlas Schwester, die in einer lesbischen Beziehung lebt, hat diese Aufregung vielleicht schon hinter sich. Jedenfalls hat man das Gefühl, wenn sie ein Kind bekäme, würde das akzeptiert werden.
Das ist im realen Leben aber tatsächlich nicht so. Ich war in der Recherche überrascht, wie schwer es homosexuellen Paaren gemacht wird. Da werden sehr große Unterschiede gemacht, schon was die Finanzierung einer künstlichen Befruchtung angeht. Und selbst wenn die beiden verheiratet sind, müsste die Partnerin das Kind in einem langwierigen Verfahren adoptieren. Da muss endlich mal aufgeräumt werden. Ich habe nichts dagegen, grundsätzlich zu schauen, welche Situation gesund ist für ein Kind. Aber die Maßstäbe, die da bisher angesetzt werden, sagen meiner Meinung nach noch nicht wirklich etwas darüber aus, was ein guter Boden für eine Sozialisation ist. Dass dieser von der Präsenz eines Mannes abhängig gemacht wird, würde ich zur Diskussion stellen.
Woher kam die Idee zu diesem Stoff?
Die Idee kam von meiner Co-Autorin Monika Fäßler. Dann haben wir uns zusammengesetzt und dieses Familiendrama drum herum erdacht. Uns war es wichtig, auch die Emanzipation von der eigenen Herkunftsfamilie zu erzählen und dieses Erwachsenwerden 2.0.
"Ich glaube an die Mischung von Emotionalem und Schmerzhaftem im Leben"
Ich fand die Szene bemerkenswert, als Karla von der aus dem Ruder gelaufenen Hochzeitsparty Ihres Vaters nach Hause kommt, sich an den Computer setzt und googelt: "alleine Mama werden". Warum kommt ihr der Gedanke gerade da?
Sie wünscht sich sehr ein Kind und lässt sich von schlechten Vorbildern nicht abschrecken. In diesem Moment gibt sie die Hoffnung auf, es gemeinsam mit einem Mann zu machen. Ihr Ex-Freund bekommt nun ein Kind mit einer anderen. Ole, den sie kennengelernt hat, ist auch vergeben. Also versucht sie, den Kinderwunsch unabhängig von ihrer Partnersuche zu betrachten. Liebe und Kinderkriegen muss ja nicht zwangsläufig zusammenhängen. Das ist ihr Schritt in die Selbstständigkeit.
Da steht "Komödie" drauf, aber im Grunde ist das alles auch ganz schön traurig. Wieviel Tragik braucht eine gute Komödie?
Ich glaube an die Mischung von Emotionalem und Schmerzhaftem im Leben. Trotzdem ist es mir immer wichtig, das Schwere in eine Leichtigkeit einzubetten und den positiven Blick aufs Leben nicht zu verlieren. Ich mag diesen Wechsel, der ja auch das Leben ausmacht. Und ich glaube, je leichter es in bestimmten Augenblicken wird, desto schmerzhafter kann es in anderen werden. Ich möchte das Schwere immer wieder auffangen durch etwas Versöhnliches. Vielleicht würde ich eher von "Dramedy" sprechen, wenn ich meine Filme einordnen müsste, ich mag die Verbindung von Dramatischem und Komischem.
"Ein Kinobesuch ist viel mehr als der Film"
Ist der Titel als Motto zu lesen? "Einfach mal was Schönes" in dieser Zeit, in der überall nur schlechte Nachrichten lauern?
Es passt natürlich gerade, war aber nicht bewusst so gewählt. Der Titel bezieht sich auf den Wunsch der jüngsten Schwester, die sich für ihre Familie Harmonie wünscht. Familie kann eben beides sein: ein warmes, sicheres Umfeld, aber auch all die Konflikte. Die Töchter müssen auch lernen, ihren Eltern nein zu sagen und die Beziehung zu ihnen neu zu gestalten. Die kindliche Sehnsucht nach etwas Schönem kann man aber natürlich heute auf vieles übertragen.
Was kann das Kino, was Streamen nicht kann?
Gerade nach dieser Zeit, in der wir viel zuhause waren, ist ein Kinobesuch viel mehr als der Film: gemeinsam Zeit verbringen, sich austauschen, vielleicht etwas essen. Das Kino ist ein magischer Ort, an dem man mit anderen Menschen eine Stimmung erlebt. Das geht zuhause nicht.
"Ich habe kein Interesse daran, zu idealisieren"
Gibt es so etwas wie ein Geheimrezept für einen erfolgreichen Film?
Ich möchte große Kino-Momente schaffen, auch in der Musik. Das muss nicht laut sein, aber eben emotional. Und daneben auch die lustigen, skurrilen Augenblicke. Ich mag es, in kleinen alltäglichen Begegnungen und Beziehungen das große Ganze zu erzählen. In "Wunderschön" all die Rollenbilder und Schönheitsideale, in "Einfach mal was Schönes" das System Familie. Was bedeutet Familie? Das ist ja eine ganz essenzielle Frage.
Ihre Figuren zeigen sich sehr nackt und verletzlich, in einem tröstlichen Sinne menschlich.
Ich habe kein Interesse daran, zu idealisieren. Ideale haben sehr oft und lange individuelle Wege verhindert. Ich mag es nicht, wenn unnötig Druck aufgebaut wird. Wenn man zum Beispiel auf die Schönheit geht: Am Badesee gibt es zig verschiedene Körper und alle sind entspannt damit. Ich wünsche mir einfach mehr Badesee im Alltag. Ich fände es schön, wenn sich unser Zusammenleben ein bisschen liebevoller und mitmenschlicher gestalten würde.