AZ-Filmkritik zu Die irre Heldentour des Billy Lynn von Ang Lee

Virtual Reality soll ja das nächste große Ding werden. Mittels klobiger Brillen sollen Menschen in fremde, künstliche Realitäten eintauchen. Meisterregisseur Ang Lee hat etwas ähnliches noch mal im konventionellen Medium Film probiert: In "Die irre Heldentour des Billy Lynn" können die Zuschauer hautnah den Soldaten Billy und seine Kameraden begleiten. Die sind frisch aus dem Irak zurückgekehrt und geraten ihrerseits in eine fremde, künstliche Realität: eine Triumphtour, bei der die amerikanische Öffentlichkeit ihre Heldentaten feiert.
Verfilmung des gleichnamigen Romans
Im Mittelpunkt steht Billy Lynn (Joe Alwyn), ein sanftmütiger 19-jähriger aus einem texanischen Kaff: Bei einem Gefecht eilte er einem Vorgesetzten (Vin Diesel) todesmutig zur Hilfe, irgendjemand filmte – und nun baut die Propagandamaschine den Provinzler zum Posterboy der Armee auf. Er und seine Einheit werden im ganzen Land bejubelt und medial begleitet, Höhepunkt ihrer Rundreise ist die Halbzeitshow bei einem Footballspiel: Da sollen die Soldaten hinter Beyoncé und Destiny’s Child auf die Bühne marschieren, als patriotische Staffage des Spektakels.
Ang Lee hat Ben Fountains gleichnamigen Roman verfilmt, und er lässt die Zuschauer mit Billy auf eine Welt blicken, die nicht mehr seine ist. Er hat zwar Spaß an der Limousine, in der er und seine Kameraden chauffiert werden, freut sich, dass ein Produzent (Chris Tucker) Geld für die Verfilmung seiner Geschichte sammeln möchte, und verguckt sich in die Cheerleaderin Faison (Makenzie Leigh), die ihm bei der Pressekonferenz verführerisch zuzwinkert und ihn, soviel Patriotismus muss sein, ein paar Minuten später entjungfert.
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Aber zugleich wirkt alles zu groß, zu grell, zu bunt, zu oberflächlich, zu falsch. Zumal im Kontrast zu Billys anderer Realität im Irak, die in Rückblenden erzählt wird. Die hat nichts mit der Version des Krieges gemein, die in der Heimat erzählt wird. "Ihre Geschichte gehört jetzt nicht mehr Ihnen, sie gehört jetzt Amerika", wird ihm der Besitzer des Footballteams (Steve Martin) sagen, als er ihm die Filmrechte an seiner Story abkaufen will. Er bietet einen lächerlichen Preis und erklärt, dass sie in ein paar Wochen, wenn der Medientrubel wieder vorbei ist, gar nichts mehr wert sei.
"Die irre Heldentour des Billy Lynn" ist halb Mediensatire, halb Drama eines jungen Mannes, der zerrissen ist zwischen Loyalität zu seiner Truppe und dem Wunsch seiner Schwester (Kristen Stewart), dass er sein Leben nicht weiter für einen idiotischen Krieg aufs Spiel setzt. Höhepunkt des Films ist die Halbzeitshow: Da marschieren Billy und seine Kameraden mit (einer nur von hinten zu sehenden) Beyoncé übers Feld und auf die Bühne – und der Zuschauer fühlt sich auf beeindruckende Weise mittendrin. Als dann das Feuerwerk zündet, assoziiert der traumatisierte Soldat ganz andere Explosionen – und man befindet sich plötzlich in Billys Kopf, spielt seine fürchterlichen Erinnerungen noch mal durch.
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Bis hierhin entwickelt der Film eine zunehmend starke Sogwirkung – doch dann geht ihm allmählich die Luft aus. Das entscheidende Wiedersehen zwischen Billy und der Cheerleaderin nach dem Football-Spiel ist unspektakulär, das Ende des Films leicht vorherzusehen. Und es ist nicht annähernd so bewegend wie der Schluss von Lees Meisterwerken "Der Eissturm" oder "Brokeback Mountain". Zumindest aber rechnet der Film auf unterhaltsame Weise mit einer verlogenen Gesellschaft ab, die junge Männer in der Ferne kämpfen lässt – und zuhause zu Clowns des Medienzirkus’ macht.
R: Ang Lee (US/GB/VCR, 113 M.)
Kinos: Mathäser, Münchner Freiheit, Museums-Lichtspiele