Auschwitz privat: "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer
Bei Filmen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, ist immer die Frage: Wie kann man das Unfassbare darstellen? So ist man als Zuschauer von "The Zone of Interest" in permanenter Angst vor dem Einbruch des direkten Grauens in die Harmlosigkeit. Die wiederum ist natürlich beklemmend, auch wenn zu Beginn Rudolf Höß - nach Wochenend und Sonnenschein mit den fünf Kindern - liebevoll das Baby nach Hause trägt. Wenige Filmminuten später wird Hedwig Höß - genervt über die Ungeschicklichkeit einer der Hausangestellten beim Frühstück - sagen: "Pass doch auf! Wir können deine Asche jederzeit über die Felder streuen." Aber das ist nur ein pervers beiläufiges Aufblitzen dessen, worüber nie gesprochen wird, auch nicht zwischen den Eheleuten, gespielt von Sandra Hüller und Christian Friedel als Lagerkommandant von Auschwitz.
Der Film betritt das KZ nie
Auch dem Zuschauer wird das Unbebilderbare optisch nie zugemutet: Das Betreten des KZs. Nur einmal sieht man Höß an seinem tatsächlichen Arbeitsplatz an die Selektionsrampe in Auschwitz treten. Aber noch ehe man einen Blick auf eine der denkbar inhumansten Szenen werfen könnte, löst sich alles zu einer sich verweigernden weißen Leinwand auf.
Gezeigt wird fast ausschließlich das Familienleben des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß im großen, modern-rustikal Haus mit großzügigem Garten, dessen Begrenzung die KZ-Mauer mit Stacheldraht bildet.
Rudolf Höß "freut sich wie eine Schneekönig"
Nach Berlin geht es immer nur kurz, wenn es wichtige Besprechungen gibt und als Höß abberufen werden soll. Seine Frau droht ihm, das "Paradies" mit Villa, Angestellten und Garten nicht mehr zu verlassen. Er kämpft also um seine Aufgabe - und telefoniert am Abend erleichtert nach Hause: "Ich komme morgen zurück zu Euch. Ich freue mich schon wie ein Schneekönig."
Jedes Bild ist vom Briten Jonathan Glazer durchästhetisiert. Schönheit ergibt sich dabei nur auf den ersten Blick, beim näher Hinsehen ein Schauer.
Militärischer Unterton in der Alltagssprache
Wie aber schafft es Glazer, dass ein opulenter Abendempfang in Berlin nicht Glanz, nicht die schmeichelnde Atmosphäre des Dabeiseins entfaltet, sondern Beklemmung? Es ist die vom militärischen Unterton verseuchte Zivilsprache, die leichte Steifheit in der von strengen Hierarchien durchzogenen Partystimmung und es sind die zwischen Smokings und Abendkleider gemischten Uniformen sowie das grob-rustikale Interieur.
Durchbrutalisierung der Gesellschaft
Das alles ist große subtile Kunst in der Darstellung der Durchbrutalisierung einer Gesellschaft. Und nachts flackert das rötliche Licht aus den KZ-Kaminen durch die Vorhänge in die Kinderzimmer sowie das elterliche Schlafzimmer - begleitet vom Dauergrollen der Öfen.

Was die Bilder sinnvollerweise verweigern, suggeriert auf bedrohlich unheimliche Weise die Tonspur, auf der Schäferhundgebell, Befehls- und Angstschreie und Schüsse eingemischt sind. Aber alles ist abgedämpft, wie unter einer Decke. Und scheinbar wie aus der Hölle kommende, gleitende Musik-, Chor- und Sirenenklänge flüstern uns ins Unbewusste, erzeugen in der Phantasie Bilder, von denen man sich eben nicht distanzieren kann.
Musikvideos für Nick Cave, Blur, Massive Attack oder Radiohead
Hier zeigt sich nicht nur psychologische Meisterschaft, sondern auch, dass Jonathan Glazers Kunst auch von Musikvideos herkommt, die er in den 90ern für Nick Cave, Blur, Massive Attack oder Radiohead gemacht hat.
Über allem steht in "The Zone of Interest" - der frei nach dem Roman von Martin Amis entstanden ist - natürlich die irritierende Frage: Was macht die Konfrontation mit dem Grauen und Morden mit einem Menschen? Und hier: mit einem stolzen Aufsteiger und Überzeugungstäter sowie seiner ehrgeizigen, sich an erklommenem Besitz klammernden Frau? Nichts!

Den Charakter rauskotzen
Oder? Es gibt nur zwei kurze Szenen, die durchschimmern lassen, dass das Grauenhafte verdrängt und ausgeblendet werden muss: Rudolf Höß wird sich nach einer Sitzung, in der es um die noch größere Perfektionierung des Massenmordes geht, im Treppenhaus des granit-marmornen Verwaltungsgebäudes übergeben. Und Hedwig wird den Brief, geschrieben von ihrer Mutter nach deren Besuch in der Villa, verbrennen. Die Mutter hatte erklärt, nicht mehr wiederkommen zu können verbunden mit der Frage, wie man an einem solchen Ort wie Auschwitz glaubt, glücklich sein zu können?
Und was macht das alles im geschützten Raum eines Kinos mit den Zuschauern? Glazer gelingt es, Fragen zu stellen: nach der Möglichkeit des Verdrängens, nach dem Preis, den man bereit ist, für Karriere zu zahlen, nach dem Alltag im Verbrechen und dem Charakter des Menschen. Das ist zeitlos und unheimlich nahe.
Kino (der Film ist auf Deutsch):
City, Leopold, Monopol, Rio, Museum, Isabella
R: Jonathan Glazer
(USA/GB/ PL, 105 Min.)
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